Paul Niedermayer: DB.
Kunstverein Freiburg, Dreisamstr. 21, Freiburg.
Mittwoch bis Freitag 15.00 bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 2. November 2025.
Wenn der ICE schon wieder steht, das Buch ausgelesen ist oder das endlose Klappern der Tastatur des Typen hinter einem langsam nervt, dann ist es Zeit, sich ein bisschen die Beine zu vertreten. Ziel: das Bord-Bistro. Reisende beugen sich hier über Cappuccino-Becher mit DB-Logo, aus denen es leicht säuerlich riecht. Andere sitzen vor Weizenbiergläsern, hinter denen graue Landschaften und zersiedelte Speckgürtel vorbeiziehen. Die leeren Blicke streifen Doppelgaragen, Sichtschutzzäune, Solardächer und Einfamilienhäuser, die aussehen, als seien ihre Küchen genauso praktisch möbliert wie dieser rasende Raum, in dem die Zeit still zu stehen scheint – würde im Bistro nicht kaum merklich alles immer weniger werden, die Getränke, der Tatendrang, die Aufmerksamkeit.
Es ist ein seltsamer Unort, den die in Berlin lebende Künstlerin Paul Niedermayer für ihre fotografische Werkserie „DB“ aufgesucht hat. Schlicht gerahmt wie Werbebanner auf Zug-Toiletten hängen die 30 Motive an der Wand, luftig sortiert zu einer lückenhaften Linie, was die Halle im Verhältnis zu den Bildern selbst weit erscheinen lässt wie eine Landschaft.
Niedermayer verbringt viel Zeit in Bordbistros, seit sie einen Job an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig hat und beim Pendeln ihr Geld lieber in Kaffee investiert als in eine Platzreservierung. Dort begann sie die Dinge auf den Tischen zu fotografieren, Tassen, Gläser, einen Stift, die Menükarte. Zunächst mit dem Smartphone, heimlich aus der Deckung heraus, manchmal ragt auf diesen hochformatigen Fotografien noch eine fremde Hand ins Bild; später dann im Querfomat, ohne Personen und fokussierter, mit der Digitalkamera. Vor deren Objektiv schraubte sie einen Analogfilter, der die Stillleben mit DB-Geschirr auf Buchenholzimitat durch horizontale Verwischungen künstlich in Bewegung versetzte.
Natürlich ist das eine Fiktion: das bewegte Ding, das nicht scharf zu fassen ist – ebenso wie die Werkbeschreibung der Serie, die behauptet, alle Bilder seien bei einer Geschwindigkeit von exakt 200km/h entstanden. Doch genau darum geht es Paul Niedermayer. Sie untersucht die Beschaffenheit funktionaler Bilder und die Strategien, die hinter ihrer Gestaltung stecken. Sie nimmt ernst, was sie sieht. Und das bedeutet, die Dinge und ihre mediale Inszenierung an den Ursprung ihrer Entstehung zurückzuverfolgen, die Absichten auszustellen, die sich mit ihrem Corporate Design verbinden, und das Umfeld zu beschreiben, das sie als Erfahrungsraum kreieren.
In ihrer vermeintlichen Tristesse und der bewusst gewählten Blässe ihrer Farbgebung ist Niedermayers konzeptuelle Fotografie alles andere als fahl. Im Gegenteil, ihre Bilder stecken voller kunst- und popkultureller Anspielungen, ihr subtiler Humor ist in „DB“ allgegenwärtig. Zwei leere Tassen mit angetrockneten Milchschaumresten mutieren da etwa zum hinreißend traurigen Doppelporträt zweier Personen, die aus ihnen getrunken haben. In anderen Rahmen posieren verschwommene Gläser wie Modelle für Gerhard Richters frühe Gemälde nach gefundenen Fotografien. Zwei Motive mit mehreren, durch die Luft wirbelnden Würfeln, die Niedermayer in ihrem Atelier fotografiert und als Gäste in ihre Freiburger Schau geschmuggelt hat, erweisen sich als schließlich versteckte Hommage an John Baldessari.
Der kalifornische Konzeptkünstler verstand Kunst als „bestes Mittel gegen Langeweile“ und war überzeugt davon, dass „mehr als eine Wahrheit in der Welt existiert“. Exemplarisch kann dafür seine Fotoarbeit „Throwing Three Balls in the Air to Get a Straight Line“ stehen, auf die sich Niedermayers Würfelbilder beziehen. Baldessaris Handlungsanweisung war klar, das Ergebnis offen – scheinbar. Denn was die zwölf zufälligen Konstellationen, in denen sich die roten Bälle jeweils vor blauem Himmel sortierten, erst auf den zweiten Blick offenbarten, war die Tatsache, dass drei Objekte in der Luft immer eine gerade Linie bilden – es kommt nur darauf an, von welchem Standort aus wir sie betrachten. So gesehen könnte man Paul Niedermayers Fotografien auch als Versuch verstehen, mit den Bildern alltäglicher Dinge zu jonglieren, bis diese in ihrer Inszeniertheit sichtbar werden und so den Blick öffnen für ihre verborgenen Potenziale.
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English version
When the ICE train is stationary again, you’ve finished your book, or the endless clattering of the keyboard behind you is starting to get on your nerves, it’s time to stretch your legs a little. Destination: the on-board bistro. Here, travellers hunch over cappuccino cups bearing the DB logo, which give off a slightly sour smell. Others sit in front of wheat beer glasses, behind which grey landscapes and sprawling affluent suburbs pass by. Their empty gazes wander over double garages, privacy fences, solar roofs and detached houses that look as if their kitchens are just as practically furnished as this fast-moving space, where time seems to stand still – if it weren’t for the fact that everything in the bistro is gradually dwindling: the drinks, the zest for action, the attention.
It is a strange, out-of-the-way place that Berlin-based artist Paul Niedermayer chose for her photographic series ‘DB’. Framed simply like advertising banners in train toilets, the 30 motifs hang on the wall, airily arranged in a gap-filled line, which makes the hall seem as vast as a landscape in relation to the pictures themselves.
Niedermayer spends a lot of time in train bistros since she got a job at the Academy of Visual Arts in Leipzig and prefers to invest her money in coffee rather than a seat reservation when commuting. There she began photographing the things on the tables: cups, glasses, a pen, the menu. At first with her smartphone, secretly from behind cover, sometimes a stranger’s hand still protruding into the picture in these portrait-format photographs; later in landscape format, without people and more focused, with a digital camera. She screwed an analogue filter onto the lens, which artificially set the still lifes with DB tableware on imitated beech wood in motion through horizontal blurring.
Of course, this is fiction: the moving object that cannot be clearly defined – just like the description of the series, which claims that all images were taken at a speed of exactly 200 km/h. But that is precisely what Paul Niedermayer is interested in. She examines the nature of functional images and the strategies behind their design. She takes what she sees seriously. And that means tracing things and their media presentation back to their origins, exposing the intentions associated with their corporate design, and describing the environment they create as a space of experience.
With its supposed dreariness and deliberately pale colour scheme, Niedermayer’s conceptual photography is anything but dull. On the contrary, her images are full of references to art and pop culture, and her subtle humour is omnipresent in ‘DB’. Two empty cups with dried milk foam residue mutate into a ravishingly sad double portrait of two people who drank from them. In other frames, blurred glasses pose like models for Gerhard Richter’s early paintings based on found photographs. Two motifs with several cubes swirling through the air, which Niedermayer photographed in her studio and smuggled into her Freiburg show as guests, ultimately prove to be a hidden homage to John Baldessari.
The Californian conceptual artist saw art as ‘the best remedy for boredom’ and was convinced that ‘there is more than one truth in the world’. His photographic work ‘Throwing Three Balls in the Air to Get a Straight Line’, to which Niedermayer’s cube pictures refer, is a prime example of this. Baldessari’s instructions were clear, the result open – or so it seemed. For what the twelve random constellations, in which the red balls were arranged against a blue sky, revealed only at second glance was the fact that three objects in the air always form a straight line – it just depends on the location from which we view them. Seen in this light, Paul Niedermayer’s photographs could also be understood as an attempt to juggle images of everyday objects until their staged nature becomes visible, thus opening our eyes to their hidden potential.








