Paula Modersohn-Becker und ihre Weggefährtinnen.
Worpsweder Museen (Worpsweder Kunsthalle, Haus im Schluh, Barkenhoff), Worpswede. Öffnungszeiten der einzelnen Häuser unter worpswede-museen.de
Bis 18. Januar 2026.
[— artline>Nord] Paula Modersohn-Becker (1876-1907) ist unter den Künstlerinnen und Künstlern, die in Worpswede gelebt und gearbeitet haben, die mit Abstand meist beachtete und geschätzte, international. Dabei stehen Werkgruppen wie die Selbstporträts, die Kinderbildnisse oder die Mutter-Kind-Darstellungen im Vordergrund. Größte Faszination übt das kurze, widerspruchsreiche und von grenzenlosem Schaffensdrang geprägte Leben der Malerin aus. „Paula“, so genannt, als sei sie eine von uns und unter uns, als sei sie eine Vertraute, ist eine Ikone, vor allem in feministischer Sicht – und eine Marke. Worpswede ist nicht zuletzt ihretwegen ein „niedersächsischer frauenORT“ und touristischer Magnet. Im Rahmen des Worpsweder „Zeitenwende“-Projekts präsentieren zum 150. Geburtstag der Malerin nun vier Museen „Paula Modersohn-Becker und ihre Weggefährtinnen“. Dies sind in der Hauptsache Clara Rilke-Westhoff (1878-1954) im Barkenhoff, Ottilie Reyländer (1882-1965) in der Worpsweder Kunsthalle und Martha Vogeler (1879-1961) im Haus im Schluh. Und es sind in der Präsentation der Großen Kunstschau noch viele andere Künstlerinnen um Modersohn-Beckers Generation und aus der Gegenwart. Selbstbestimmung und Selbstermächtigung von „Zeitgenossinnen“ werden im synchronen Vergleich verhandelt und auf „die“ heutige Situation von Frauen und Künstlerinnen bezogen.
Eine Referenzkünstlerin von heute ist die Deutsch-Iranerin Anahita Razmi (1981). Sie ist in der Großen Kunstschau mit einer Videoarbeit und im Ort verteilt mit einer Außenrauminstallation vertreten. Letztere greift in drei Sprachen die Worte auf, die spätestens seit den Protesten im Iran als Antwort auf den gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022 weltweit Verbreitung gefunden haben: Frau. Leben, Freiheit. Eine weitere zeitgenössische Position ist die von Cornelia Schleime (1953), die mit einem ihrer magisch rätselhaften Bildnisse von Mädchen und Frauen vertreten ist. Sie zeigt eine weibliche Figur in Zwischenräumen, auf dem Weg, in Ambivalenz: Ihr Alter ist schwer zu bestimmen, sie steht auf einer Türschwelle, ihre Kleidung wirkt wie ein Kostüm, eine kulturelle Zugehörigkeit zeigt sich nicht, das Bild verspricht Authentizität, wirkt gleichzeitig aber in der ganzen Pose inszeniert. Auch viele Protagonistinnen Modersohn-Beckers irritieren. Sie sind nur auf den ersten Blick vertrautes Personal aus dem dörflichen Leben. Tatsächlich werden sie uns mit jedem Blick fremder und im besten Sinne fragwürdiger, die Kinder und die Alten, in den Wendezeiten ihres Lebens. Die Bilder schälen alles Konventionelle ab und stellen die Protagonistinnen auf Anfang. Die Statuarische, die Farbigkeit, die Flächenauffassung sind Verhandlungsmasse der klassischen Malereimoderne. Sie entsprechen Modersohn-Beckers Menschenbild. Einfachheit und Größe spricht das Humane und das Schöne aus, das Humane ist das Schöne.
Die vielleicht wichtigste Weggefährtin für sie war die BIldhauerin Clara Rilke-Westhoff. Der Barkenhoff stellt die Malerin und sie anhand der Themen Bildnis und Landschaft gegenüber. Beide haben ähnliche Motivvorlieben: Frauen und Kinder. Unterschiedliche Charakteristika der jeweiligen Bildsprache werden im direkten Vergleich sichtbar. Die Worpsweder Kunsthalle widmet sich Ottilie Reylaender, die im Alter von 15 Jahren nach Worpswede zu Fritz Mackensen kommt. Gleich am ersten Tag trifft sie Paula Modersohn-Becker, die ihr von da an regelmäßig als bewunderte Gesprächspartnerin begegnet und deren Werk ihr als Inspiration und Orientierung dient.
Vielleicht liegt es an den großen globalen Ambitionen im „Zeitenwende“-Projekt, an einer Verschiebung des Gewichts von einem „kunsthistorischen“ zu einem „sozialgeschichtlichen“ Ansatz, dass die Ausstellung tendenziell Bilder als „Manifeste“ ausflaggt. Modersohn-Becker lebte keine Protesthaltung oder -handlung vor. Vorbildlich ist ihr Festhalten an ihren künstlerischen Ambitionen und ihr Kampf für die Möglichkeit, ihr Künstlerinnendasein, meist ohne Weggefährtin, zu leben.




