Ian Waelder: thereafter.
Trevor Young: Underwater Haze.
Som Supaparinya: The Rivers They Don‘t See, Passage II.
Kestner Gesellschaft, Goseriede 11, Hannover.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 16. November 2025.
[— artline>Nord] Zum Außenauftritt der Hannoverschen Kestner Gesellschaft gehört seit jeher eine Fassadenarbeit, die weit über den Goseriedeplatz ausstrahlt. Einst simples Werbebanner, wurden daraus zyklisch erneuerte Neon-Schriftzüge wechselnder Künstler*innen. Aber was hängt da jetzt bloß an der Glasfassade? Beim Nähertreten erkennt man eine asymmetrische Gruppe aus acht überlebensgroßen Nasen, geformt aus einer beige-grauen Masse. Sie stammen von Ian Waelder, 1993 in Madrid geboren und seit seinem 2023 absolvierten Kunststudium an der Frankfurter Städel Schule dort sowie auf Mallorca und in Basel lebend, dem das Haus derzeit eine Einzelpräsentation ausrichtet.
Die acht Nasen sind der Physiognomie seines Vaters nachgebildet, Waelder Senior stand Modell für eine gut 30 cm große Gussform aus Ton. Mit ihr wurden anschließend Nasen aus Papiermaché geformt, die mit einer Paste aus Fett, Futterkörnern und einem pflanzlichen Geliermittel überzogen wurden. Es sind also in ihrer Form etwas außergewöhnliche Meisenknödel, die nun im Außenraum darauf warten, von Vögeln oder der Witterung langsam bis zur Unkenntlichkeit aufgelöst zu werden. Referenz ist, unübersehbar, der aus Hannover gebürtige Schweizer Künstler Dieter Roth (1930–1998), der mit Lebensmitteln und ihren Verrottungs- oder Verschimmelungsprozessen arbeitete. Er kreierte 1969 das Multiple „P.O.TH.A.A.VFB (Portrait of the Artist als Vogelfutterbüste)“, ein Selbstporträt aus Schokolade und allerlei Körnern. In einem Exemplar demonstrativ der Zersetzung im Außenraum überlassen, haben die restlichen, gut konserviert, in Museumsinventaren überdauert. Roth persiflierte damit das Selbsterhöhungspathos und den Ewigkeitsanspruch klassischer Büsten aus Marmor oder Bronze.
Solche Selbstironie liegt Ian Waelder eher fern. Dennoch: Auch er operiert mit ungewöhnlichen Materialien und thematischen Bezügen, stark ins Familiäre. Der Titel „thereafter“ – danach – will das Weiterwirken von Überresten, Gesten und Spuren ansprechen, komprimiert umgesetzt in einem Labyrinth aus braunem Karton in der Claussenhalle des Erdgeschosses. Rätselhafte Objekte wie Schuhleisten oder Zeitungsseiten, die mit Tee- und Fettflecken oder Haferflocken zu Organismen werden, fragmentierte Klänge und gedämpftes Licht verdichten sich zu einem Panoptikum des offenen Erinnerns an Personen, Geschehnisse oder auch die Institution Kestner Gesellschaft.
Als vitalen Kontrast lässt Trevor Young (*1988), in den zwei Obergeschosssälen eine exotische Welt aus Palmen, Kakteen und einem künstlichen Wasserkreislauf entstehen: „Underwater Haze“. Das vermeintliche Paradies ist fragil. Die Großpflanzen sind ihrer Ursprungsumgebung entrissen und anomal gewachsen, müssen mit Gurten stabilisiert werden. Ihr Leben hängt ab von der Stabilität eines technischen Systems wie auch der Fürsorge durch Menschen. Aber was, wenn das Bewusstsein für derartige Zusammenhänge nicht (mehr) vorhanden ist? Solche Fragen stellt im Erdgeschoss Som Supaparinya (*1973) in ihren Videoarbeiten. Die Thailänderin hat unter anderem an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert, geht mit ihrer ästhetischen Forschung nun zurück in ihre Heimat. Sie verfolgt mehrere Flüsse in ihren mittlerweile manipulierten Verläufen, etwa am 1964 fertiggestellten Bhumibol-Staudamm. Der Ping-Fluss wurde dort zu einem Wasserkraftwerk aufgestaut, um den Großraum Bangkok mit Elektrizität zu versorgen. Viele Dörfer und Wälder fielen der Maßnahme zum Opfer, weitere Überflutungen resultierten aus dem Missmanagement des Staudamms, so neuerlich im letzten Jahr. Hat eine nationale Regierung überhaupt das Recht, Flüsse und ihr Wasser auszubeuten und so Umweltzerstörungen großen Umfangs heraufzubeschwören? Supaparinyas „The Rivers They Don’t See“ legt den Finger in alte, politisch verdrängte Wunden. Auch die Präsentation der Institutionsgeschichte wird als „Passage II“ fortgesetzt, in einem Ambiente von Assaf Kimmel.






