Le sel noir – Perspektiven Schwarzer Gegenwartskunst. Zuschreibungen überwinden

Mónica de Miranda, Creole Garden, 2024, Detail, Courtesy the artist, Foto: Mónica de Miranda
Review > Bremen > Städtische Galerie Bremen
6. Oktober 2025
Text: Dietrich Heißenbüttel

Le Sel Noir. Perspektiven Schwarzer Gegenwartskunst.

Städtische Galerie Bremen, Buntentorsteinweg 112, Bremen.
Dienstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 19. Oktober 2025.

staedtischegalerie-bremen.de

Harold Offeh, Joy Inside Our Tears, 2021/2025, Installationsansicht Städtische Galerie Villingen-Schwenningen, Courtesy te artist, Foto: Frank Kleinbach
Sonia E. Barrett, Dreading the Map, 2021, Detail, Installationsansicht Städtische Galerie Villingen-Schwenningen, Courtesy the artist, Foto: Frank Kleinbach
Usha Seejarim, A Deep Wound, 2024, Installationsansicht Städtische Galerie Villingen-Schwenningen, Courtesy te artist, Foto: Frank Kleinbach
Syowia Kyambi, Double Consciousness, 2018, Courtesy the artist, Foto: B. Haffke

[— artline>Nord] „Le Sel Noir“, der Titel der von Alejandro Perdomo-Daniels kuratierten Ausstellung in der Städtischen Galerie Bremen, geht zurück auf Édouard Glissant, den karibischen Denker der horizontalen, rhizomatischen Verbindungen, im Gegensatz zur Wurzel der Abstammung, der männlichen Erbfolge des Adels und der Nation. Salz ist weiß. Schwarzes Salz ist ein Oxymoron. „Schwarz“ bezieht sich hier auf die Pigmentierung der Haut: Schwarze Gegenwartskunst, wie es im Untertitel heißt, meint die Kunst Schwarzer Menschen, Schwarz groß geschrieben, um zu kennzeichnen, dass es sich um eine Zuschreibung handelt. Was sonst verbände Valerie Asiimwe Amani aus Tansania mit Sonia E. Barrett, die in England als Tochter eines Jamaikaners und einer Deutschen geboren ist? Ngozi Ajah Schommers, Syowia Kyambi, Lisa Marie Asubonteng oder Monica de Miranda haben alle ein europäisches und ein afrikanisches Elternteil, Schommers ist in Lagos geboren und aufgewachsen und lebt in Bremen, Kyambi in Nairobi und ist Gastprofessorin in Nürnberg, Asubonteng in Stuttgart und Miranda in Porto. Warum sollten sie auf ihre afrikanischen „Wurzeln“ festgelegt werden? Sie sind ebenso sehr Europäerinnen wie Afrikanerinnen.

Aber niemand mit dunkler Hautfarbe kann sich den Zuschreibungen entziehen, die von der Kolonialgeschichte herrühren: Ungleiche Ausgangsbedingungen in den Ländern des globalen Südens, Rassismus in denen des Nordens. Allen zehn Künstler*innen der Ausstellung geht es um die Überwindung der Vorurteile und Zuschreibungen, der traumatischen Geschichte und um die Suche nach einer eigenen Position in der Welt, die sich eben nicht auf die afrikanischen Anteile reduzieren lässt.

Als Spiegelstadium bezeichnete der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan den Moment, in dem das Kind durch den Blick der anderen sich selbst wahrzunehmen beginnt. In Syowia Kyambis Installation „Double Consciousness“ hängen Spiegel von der Decke, in denen sich Frauenkostüme reflektieren, die verschiedene Rollen in der kolonialen und postkolonialen Gesellschaft repräsentieren. Ngozi Ajah Schommers zeigt bunte Frauenfiguren in wechselnden Perspektiven, auf durchlöchertem Papier, aus Konfetti collagiert. Lerato Shadi bringt das Paradox der Zuschreibungen zum Vorschein: Auf Rohleinen sind Sätze in roter Farbe gestickt, in zwei Richtungen übereinander und damit unleserlich. In Mónica de Mirandas Video tanzen zwei Frauen durch eine scheinbar tropische Landschaft. Es handelt sich um den Botanischen Garten von Lissabon. Die Pflanzen sind längst in Europa heimisch geworden.

Der in Brüssel lebende Nástio Mosquito reagiert mit seiner Arbeit auf die andauernde Fremdbestimmung seines Geburtslandes Angola, den 27-jährigen Bürgerkrieg und den plötzlichen Reichtum durch Erdöl. „As far as I know, I am not traumatized. I am angry“, sagt eine verzerrte Stimme aus einem Laptop. Usha Seejarims „A Deep Wound“ versteht sich als feministischer Kommentar auf Lucio Fontana: Ein Quadrat aus Wäscheklammern wölbt sich auf zu einem roten Schlitz. Lisa Marie Asubonteng, die auch als Modefotografin arbeitet, hat sich selbst an den Stränden Ghanas porträtiert, wo einst die Sklaven verschifft wurden. Doch in einem Bild wendet sie sich einem kleinen Jungen zu. Die Zukunft geht vor, allen erlittenen Traumata zum Trotz. Tanzen kann Wunden heilen, wie die kreuz und quer in den Raum tapezierten Fotos und Videos des in London lebenden Ghanaers Harold Offeh vor Augen führen.

Mit ihrer Arbeit „Dreading the Map“ reagiert Sonia E. Barrett widerständig auf die Kartografie, die von der „Entdeckung“ Amerikas bis zum Berliner Kongress 1884 die koloniale Expansion Europas vorangetrieben hat. Den Begriff „Dreading“ – deutsch: fürchten –, deutet sie um, indem sie die Karten schreddert und zu Dreadlocks flicht. Die Tansanierin Amani thematisiert dagegen in ihren Stoff-Applikationsarbeiten Liebe und Schönheit.