AMANI kukita / kung’oa – Perspektiven auf eine koloniale Sammlung. Unvollendete Kreisläufe

Forschungsstation in Amani heute, © Museen Stade 2023
Review > Stade > Kunsthaus Stade
15. April 2025
Text: Peter Boué

AMANI kukita / kung’oa:
Deutsche und tansanische Perspektiven auf eine koloniale Sammlung in Stade.

Kunsthaus Stade, Wasser West 7, Stade.
Dienstag bis Freitag 10.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 9. Juni 2025.

www.museen-stade.de

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:
Verlag Kettler, Dortmund 2025, Deutsch / Englisch, 240 S., 54 Euro.

Yvette Kießling, Mbuzi 3, 2024, © Yvette Kießling
Valerie Asiimwe knüpft einen Teppich für ihre Installation „Mwiko // Home is a Double-Edged Sword“, Foto: Cheeky Studio London, © Valerie Asiimwe
Rehema Chachage, The open weave I, Film still, 2025, © Rehema Chachage
Blühende Sansevieria in ein Gestell gespannt, Fotograf*in unbekannt, ca. 1905 © Botanischer Garten / Botanisches Museum Berlin
Vier Flaschenkürbisse auf Gläsern drapiert, Foto: Karl Braun © Botanischer Garten / Botanisches Museum Berlin
Flechtproben von der Insel Mafia, Konvolut Karl Braun, Inv. r 2018 / 18396 b, Foto: Carsten Dammann © Museen Stade 2024

[— artline Nord] Oft entwickeln sich größte Unternehmungen aus den einfachsten Zufällen: vor rund zehn Jahren fanden sich auf dem Boden des Museums Schwedenspeicher in Stade 600 ethnografische Objekte in zwei Kisten und einem Koffer. Es handelt sich um die „Kolonialsammlung Braun“ des Botanikers Karl Braun (1870-1935), der seit 1904 im „Kaiserlich Biologisch-Landwirtschaftlichen Instituts Amani“ im heutigen Tansania und der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ verantwortlich für die Forschung war. Die aktuelle Ausstellung im Kunsthaus Stade widmet sich nun auf vielfältige Weise und mit großem Gespür für sensible Vorgänge den Gegenständen der Sammlung und arbeitete dafür mit Forscher:innen aus Tansania in allen Bereichen zusammen. Die tansanischen Künstlerinnen Valerie Asiimbwe Amani und Rehema Chachage sowie die Leipziger Malerin Yvette Kießling sind von Beginn an in das Projekt eingebunden.

Im Kunsthaus Stade betritt man zunächste einen dunklen Raum, der von vereinzelten Lichtquellen beleuchtet wird. Auf dem Boden liegen Teppiche, die an Karten erinnern: übereinander geschichtete farbige Flächen in Blau, Braun und Grün, gestrichelte Linien trennen Felder ab. Tatsächlich geht es hier um das Territorium Amani, mit Wegen roter Erde und bezeichneten Waldstücken. Von der Decke herab hängen Messer und Speerspitzen, Bestandeile der Sammlung Karl Brauns. Hier stehen auch die hölzernen Kokosnussraspler, ebenso aus der Sammlung, mit ungewöhnlichen Verlängerungen, die an Wirbelsäulen denken lassen und so in der Vorstellung zu Hälsen mit Köpfen in Form von Lampen mutieren. Valerie Asiimbwe Amani spricht von alternativem Wissen, das sich über die künstlerische Arbeit vermittelt; hier in ihrer Installation „Mwiko / Home is a double-edged sword“ kommt sie dem nahe, über eine emotionale, abstrahierende Annäherung.

Das Licht in dem flachen Fachwerk-Raum ist trotz der zentralen Filmprojektion abgedufft. Der Geruch von Ruß hängt in der Luft und die Wände sind hier dunkel bespannt, so meint man. Tatsächlich aber sind es Papiere, die den Dunst und Ruß einer Feuerstelle aufgefangen haben. Rehema Chachage ist in ihrem Film zweimal dabei zu sehen – weil gespiegelt –, wie sie Blumen zu einem endlos scheinenden Band zusammenfügt, denn das Knäuel in der Mitte der Doppelprojektion geht schliesslich in beide Richtungen. „The Open Weave I“ zeigt eine Tätigkeit, die der Künstlerin selbst durch ihre Familie vermittelt wurde. So ist es als wiederkehrendes Ritual Bestandteil des Lebens und des Laufes der Zeit. Als Kombination von stillgestelltem Foto und leicht bewegter Projektion erscheint eine bunte Blüte auf einem strohigen, verwelkten Stengel, das Motiv der sogenannten Totenblume. Diese Bilder sind wie das Unvollendete eines Kreislaufs, der nicht näher bestimmt ist, aber in stetiger Aktivität miteinander verbunden.

Yvette Kießling ist als plein-air-Malerin in einer heute ungewöhnlichen Position. Sie hat schon 2021 damit begonnen, in der Gegend um die Forschungsstation Amani Pflanzen zu zeichnen und zu malen und diese gewissermaßen zu porträtieren. Denn mit der Präzision, mit der sie unverwechselbar die Spezifika herausarbeitet, zeigt sie die Fülle, aber auch die Unterscheidungen – etwa der einheimischen oder schon immer vorhanden Pflanzen, als auch der invasiven Arten, die nicht zuletzt über die Kolonialisierung und ihre Forschung in die Wälder kamen. Sie zeigt eine über hundert Einzelbilder fassende Wand von farbigen Darstellungen sich überlagernder Pflanzen und Blumen, Ergebnisse fotografischer wie zeichnerischer Herkunft, die mittels lithographischer Verfahren übereinander farbig übereinander gelegt wurden. Über diese Schichten verdichten sich die Motive teils bis zu einem flirrenden Allover, teils aber nähern sie sich wissenschaftlich motivierter Abbildungskunst.