Jonathan Steiger

Jonathan Steiger, Speichersee (Grimsel 3), courtesy the artist, © Jonathan Steiger
Porträt
11. April 2025
Text: Annette Hoffmann

Passato presente, mit Jonathan Steiger u.a. Helmhaus, Limmatquai 31, Zürich.
11. April bis 9. Juni 2025.
www.helmhaus.org
www.jonathansteiger.com

Jonathan Steiger
Jonathan Steiger, Ten Windows an a Tree, 2025, Studioansicht, courtesy the artist, © Jonathan Steiger
Jonathan Steiger
Jonathan Steiger, Baumoräne, 2024, Installationsansicht Biennale Bregaglia Bondo, courtesy the artist, © Jonathan Steiger

Was würden Sie tun, wenn Sie jemand um einen Stein bittet? Einen Stein zumal, der eine besondere Bedeutung für Sie hat. Gibt es so etwas in Ihrem Leben und Sie haben es einfach noch nicht gemerkt? Denn dann fehlt er eben doch, wenn er weg ist, weil er die Tür offen gehalten hat, die ansonsten immer zufiel oder eine vage Grenze bildete zwischen dem Baumateriallager und der Wiese. „Baumoräne“ hieß die Arbeit, die Jonathan Steiger (*1997) für die Biennale Bregaglia 2024 verwirklichte. Sie ist mehr als eine Trockenmauer, die der Schweizer Künstler aus Wackersteinen, roten Backsteinen und Hohlsteinen aufschichtete, sie ist auch so etwas wie ein Denkmal an den verheerenden Bergsturz in Bondo vor acht Jahren. Das Bergell ist durch seine Berge bestimmt, sie prägen das Landschaftsbild, das Lebensgefühl, der Soglio Quarzit wird hier abgebaut, aber sie sind auch eine Bedrohung. Die kleine Mauer wirkte wie eine Narbe, die das Dorf selbst geholfen hatte, zu bilden. Und da Steiger die Steine wie Fundstücke einer archäologischen Ausgrabung nummeriert hatte, gelangten sie am Ende wieder dorthin zurück, wo er sie angefragt hatte und wo sie Teil eines Neubaus werden können.

Jonathan Steiger wurde in St. Gallen geboren und hat mit Amsterdam einen Lebensmittelpunkt gewählt, der landschaftlich so etwas wie das Gegenbild seiner Heimat darstellt. Doch bereits während seines Kunststudiums in Zürich interessierte er sich für Natur und Urbanismus und was es braucht, damit wir eine Landschaft als solche erkennen. Seine aktuelle Arbeit für die Ausstellung im Zürcher Helmhaus „passato presente“ greift Ansätze seiner Skulptur für die Biennale Bregalia auf und bezieht sich zugleich auf die besondere Architektur des Ausstellungshauses mit seinen Ausblicken auf die Stadt und die Limmat. Auch diesmal sammelt er Baumaterial, ausgebaute Fenster, die er im Raum aufreihen wird. Sie erzählen von den unterschiedlichen Haustypen. Was sie verbindet, ist, dass sie auf einen Baum schauten. Auch bei „Ten Windows on a Tree“ dokumentiert Jonathan Steiger die Adresse und somit das Haus, in das es einmal eingebaut war und auch die Baumart vor dem Fenster. Das Fenster ist hier im Sinne von Lucius Burckhardt die Rahmung, durch die Landschaft oder eine Erinnerung an sie geschaffen wird. In der Schweiz ist nicht zuletzt der Tourismus eine solche Rahmung. Im späten 19. Jahrhundert wurden Stereobilder produziert, die in speziellen Apparaten betrachtet werden konnten, sie schürten die Sehnsucht nach einer vermeintlich unberührten Natur und hielten Reiseerlebnisse wach. Jonathan Steiger hat sie bereits mehrfach bearbeitet, sie typisiert und die stereotypische Aufbereitung dieser pittoresken Orte gebrochen, indem er etwa die Volumina von Häusern zu Kippbildern in Weiß und Schwarz macht.

In den Niederlanden, wo er in Amsterdam einen Master in Räumliche Praxis gemacht hat, ist 2024 seine Arbeit „In the Dutch Mountains“ entstanden. Eine genuin flache Landschaft als eine solche zu definieren, die von Bergen und Hügeln bestimmt ist, klingt wie ein Witz. Doch wir befinden uns im Anthropozän, und auch hier ist es der Mensch, der ehemalige Müllhalden zu Hügeln macht, Golfplätze baut oder Schrott aufhäuft. Steigers Bilder stellen nicht nur grundsätzlich einen Landschaftsbegriff infrage, der einen immer ähnlich schönen Ausschnitt zeigt. Sie decken auch den Charakter dieser Orte als Industrielandschaft auf, aber auch deren Umdeutung. Eine ehemalige Müllkippe, der sogenannte Vamberg in der Provinz Drenthe wird von vielen in ihrer Freizeit als Mountainbike-Parcours genutzt. Das ist es wohl, was der Künstler als Ausweitung des Begriffs von Landschaft versteht, durch den eine Hierarchisierung von schön und hässlich vermieden wird und wodurch viele einfach mehr Spaß an ihrem Leben haben.