Fred Kuwornu: We Were Here. Unerzählte Geschichten erzählen

Fred Kuwornu, We Were Here, 2024, Filmstill, Courtesy the artist
Review > Schleswig > Schloss Gottorf
10. April 2025
Text: Julia Lucas

Fred Kuwornu: We Were Here.

Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Schloss Gottorf,
Schlossinsel 1, Schleswig. Dienstag bis Freitag 11.00 bis 16.00 Uhr,
Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 9. Juni 2025.

www.museum-fuer-kunst-und-kulturgeschichte.de

Fred Kuwornu, We Were Here, 2024, Filmstill, Courtesy the artist
Fred Kuwornu, We Were Here, 2024, Filmplakat, Courtesy the artist
Fred Kuwornu vor dem Hauptpavillon der Biennale di Venezia 2024, Courtesy the artist

[— artline Nord] „We Were Here“ ist wie ein Crash-Kurs in Black Studies, der die reiche, aber lange übersehene Geschichte und kulturelle Prägung vor Augen führt, die Afrikaner:innen und Afrodeszendenten in Europa hinterlassen haben. Aufgrund der Erosion des öffentlichen Gedächtnisses ist vieles davon in Reste zerfallen. Sobald man sich jedoch die Mühe macht, die fehlenden Teile ihrer Geschichten zusammenzusetzen, ist es wie das Reparieren eines zerbrochenen Spiegels – plötzlich entsteht ein neues, unerwartetes Bild.

Genau das hat Fred Kuwornu (*1971), der Filmemacher hinter dem Projekt „We Were Here“, erreicht. Der Film ist das erste Werk von Kuwornu, das auf der Venedig-Biennale 2024 im Rahmen des Nucleo Contemporaneo gezeigt wurde, einer Sektion, in der Kreative gewürdigt werden, die oft am Rande des Mainstream-Kunstgeschehens stehen, darunter queere, indigene und Volkskünstler:innen. In der Sonderschau „Fred Kiwornu: We are here“ zeigt die Museumsinsel Schloss Gottorf Kiwornus Filmerstling und knüpft damit an „Performing History“ an, eine Ausstellung, die bereits im letzten Jahr gezeigt wurde und ebenfalls eine alternative Historizität angeboten hat.

Indem der ghanaisch-italienische Regisseur Historiker, Kulturaktivisten und seine eigene Biografie kombiniert, stellt er erfolgreich die verzerrte Darstellung Europas als ausschließlich weißer Kontinent in Frage. Anhand von Geschichten, Expertenkommentaren und physischen Evidenzen beweist Kuwornus Dokumentarfilm, dass das Leben der Schwarzen in Europa kein Phänomen des 20.Jahrhunderts ist. Tatsächlich ist die schwarze Diaspora schon seit dem 15. Jahrhundert auf diesem Kontinent präsent. Die Erzählung führt beispielsweise in bestimmte Regionen Spaniens und Portugals, in denen einst dreißig bis vierzig Prozent der Bevölkerung schwarz oder gemischt waren.

Dennoch zeigen die Beweise – von Gemälden und Statuen bis hin zu Straßenschildern –, warum die spanische Literatur des 15. Jahrhunderts Sevilla als „ein schwarz-weißes Schachbrett“ beschrieb.
Der Dokumentarfilm beleuchtet auch historische Persönlichkeiten mit schwarzer und gemischter Herkunft wie den heiligen Benedikt Il Moro, Juan Latino und Alessandro de Medici. Diese Geschichten geben nicht nur einen Einblick in ihre Erfahrungen, sondern auch in die sozioökonomische Vielfalt der schwarzen Diaspora zu jener Zeit.

Der Film scheut nicht davor zurück, das Thema Sklaverei und den Kampf derjenigen anzusprechen, die gegen ihren Willen auf den Kontinent verschleppt wurden. So zeigt er, wie die religiöse Tradition Europas missbraucht wurde, um die unmenschliche Behandlung von Afrikaner:innen zu rechtfertigen. Auch die weitreichenden Folgen, wie etwa die Exotisierung des Schwarzseins, werden erwähnt. Diese Themen verdienen jedoch mehr Raum in der Erzählung. Die Geschichte der umstrittenen Isabella D’Este, die schwarze Minderjährige „einkassierte“, und die erniedrigende Wahrnehmung versklavter schwarzer Frauen deutet an, wie das Leben der entmachteten schwarzen Bevölkerung aussah. Leider kratzt der Film nur an der Oberfläche dieser Geschichten. „Wer bin ich in dem Kontext, in dem ich lebe?“: Diese Frage von Simon Niami, einem Dozenten und Kurator, der in dem Dokumentarfilm zu Wort kommt, bringt es auf den Punkt. Sie zeigt, dass eurozentrische Historiker schon immer unzuverlässige Erzähler waren.

Kurzum, dieser Film kommt genau zur rechten Zeit. Angesichts des zunehmenden Populismus und Rechtsextremismus ist die Auslöschung der schwarzen Präsenz in Europa durch falsche Erziehung und gefährliche Agenden wie die „Rückwanderung“ immer noch sehr real.