Bert Jäger. Im Spiegel des Informel: Malerei ohne Konventionen

Bert Jäger
Bert Jäger, Fünfauge, 1964; Bert Jäger, Corniglia III, 1964; Karel Appel, Turning Landscape, 1961; Bert Jäger, CARTA POSTALE DI San Antonio, 1961, v.l.n.r., Foto: Dieter Weber
Review > Freiburg > Uniseum
27. März 2025
Text: Leonie Stoffels

Bert Jäger: Im Spiegel des Informel.
Uniseum Freiburg, Bertoldstr. 17, Freiburg.
Donnerstag und Freitag 14.00 bis 18.00 Uhr, Samstag 11.00 bis 18.00 Uhr, Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 27. Juli 2025.
www.uniseum.uni-freiburg.de

Bert Jäger
Bert Jäger, 3 Fotografien, 1956; Bert Jäger, Bathseba 1, 1961; Bert Jäger, Paccarisca II, 1962, v.l.n.r., Foto: Dieter Weber
Bert Jäger
Bert Jäger, Arme Totschläger, 1963; Asger Jorn, Végétation Angoissée, 1957, v.l.v.r., Foto: Dieter Weber

Sechs mal sechs Zentimeter. Das unkonventionelle Fotoformat zeigt eine Freiburger Jahrmarktsszene, auf der weder Erwachsene noch Kinder ausgelassen wirken, nur die weißen Karussellpferde zeigen grinsend ihre Zähne. Bert Jäger (1919-1998) konzentrierte das Erlebte durch seine eigene Linse. Die Sonderausstellung des Uniseums zeigt das vielfältige Werk Bert Jägers neben hochkarätigen Arbeiten von Willem de Kooning, Karl Otto Götz, Fred Thieler oder Peter Brüning aus der Sammlung Laaff in Freiburg.

Der Bursenkeller der Alten Universität, einst Luftschutzbunker während des Zweiten Weltkriegs und Partykeller in der Nachkriegszeit, könnte als Ausstellungsraum kaum besser gewählt sein. Der Ort repräsentiert existenzielle Bedrohung neben vermeintlicher Ausgelassenheit. Nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft fühlte sich Jäger in eine Welt geworfen, die verdrängen will. Das grobe Mauerwerk spiegelt die vielschichtige Struktur seiner Bilder wider. Bert Jäger malte anders als Peter Brüning nie auf weißer Fläche. Jede Ecke des Bildes besitzt eine Gleichwertigkeit, wobei sich manchmal ein Zentrum ausmachen lässt. Mal ist es ein Farbschwerpunkt, mal eine kreisartige Form, nie aber ein Fading-out wie bei Fred Thieler. Um auch die letzte Ecke blanke Leinwand zu kaschieren, begann Bert Jäger um 1962 collagenartig Zeitungspapier aufzukleben. Dieses nimmt die Farbe gut auf und gibt dem Bild Struktur. Einige Bilder tragen Fantasienamen: Tagomago und Manarola wirken wie ein Geflecht aus skripturalen Farbschlieren.

Gerhard Hoehmes „Borkenbild blau“, das über Steintrümmern hängt, steht gleich in zweifacher Weise für Protestkultur: Zum einen die Ablehnung des Informel von zerstörerischer Organisation und widersinnige Regeln. Zum anderen die weiße Wand dahinter, in der eingeritzt „Rock’n Roll“ steht, die wie eine Erweiterung des Bildes wirkt. Farben und fleckige Strukturen überlagern sich, kleinteilige, dicht übereinanderliegende Pinselstriche zeugen von körperlicher Gestik. Anders als die Farbe, die bei Thieler über die am Boden liegende Leinwand schwingt, steht Jägers Leinwand auf einer Staffelei. Die körperlichen und seelischen Leiden, von denen Jäger zu Lebzeiten gezeichnet war, spiegeln sich in seinem Werk wider. Nach einer missglückten Hüftoperation wandte er sich von der Malerei ab und war als Fotograf, Autor und Illustrator tätig. Ungewöhnlich sind auch seine Arbeitsmaterialen. In einer Vitrine liegen neben großen Borstenpinseln auch Besen, Spachtel und Rakeln und sogar Federn. Die aus seinem Atelier in Pietrabruna, Ligurien, stammenden Werkzeuge zeugen von Jägers körperlicher Arbeitsweise. Auf seinen Reisen nach Italien und Frankreich fand Jäger, wie viele Künstler*innen, Inspiration.

Ab 1960 befreite er sich auch in der Malerei von Konventionen, Jäger wandte sich zum motorischen Farbauftrag. In seinen Bildern gibt es keine starren Formen oder eckige Konturen mehr. Alles scheint losgelöst, die Leinwand wird bearbeitet. Der Prozess des Malakts steht im Vordergrund und das zeigt sich auch im Relief. Wie er malt und was er zeigt, ist informell. Im Prozess der Verarbeitung ist der Weg das Ziel.  Jäger war mit der Universität Freiburg eng verwoben, was sich auch in der kuratorischen Integration seiner Werke in die Dauerausstellung zeigt. Konkret-konstruktive Malerei hängt nun neben Wachsmodellen von menschlichen Haut- und Geschlechtskrankheiten der Hautklinik. Beim weiteren Rundgang finden sich auch fratzenhafte, surreal-groteske Gestalten, die ab den 1960er Jahren entstanden, u.a. Arme Totschläger, 1963. Bert Jäger prägte das Bild der wiederaufgebauten Universität mit Kunst-am-Bau-Projekten. Freiburger Studierenden könnten die abstrakte Keramik-Wandgestaltung in der Mensa Rempartstraße bekannt sein, vor der täglich Tausende Studierende auf ihr Mittagessen warten. Die Ausstellung zeigt einen Rundgang durch Jägers bewegtes Leben. Von sprühender Lebensfreude bis hin zum Versuch, Erlebtes zu verarbeiten. Seine Werke geben Einblick in seine schwankenden Gefühlslagen und halten das fest, was war.