Wir werden bis zur Sonne gehen. Pionierinnen der geometrischen Abstraktion.
Wilhelm-Hack-Museum, Berliner Str. 23, Ludwigshafen.
Dienstag, Mittwoch und Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.00 Uhr, Samstag und Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 21. April 2025.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Hirmer Verlag, München 2024, 300 S., 55 Euro | ca. 76.90 Franken.
Als Marlow Moss Piet Mondrian in einem Brief darlegte, mittels welcher Berechnungen sie zu ihren Kompositionen mit der charakteristischen Doppellinie gekommen war, reagierte dieser mit Unverständnis. Er habe es nicht so sehr mit Zahlen, schrieb er zurück. Dennoch übernahm er diese parallel verlaufenden Horizontalen, ohne die britische Künstlerin zu würdigen, die selbst aus dem Einfluss des Niederländers auf ihr eigenes Werk keinen Hehl gemacht hatte. 2017 widmete das Zürcher Museum Haus Konstruktiv Marlow Moss eine Einzelausstellung. Das Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen zeigt mit „Wir werden bis zur Sonne gehen. Pionierinnen der geometrischen Abstraktion“ nun, wie bedeutend der Anteil der Künstlerinnen an der konkret-konstruktivistischen Kunst war. Der Titel findet nicht nur ein Bild für die Energie der Künstlerinnen, er schafft auch eine Verbindung zur Oper „Sieg der Sonne“, für die Kasimir Malewitsch das Bühnenbild mit dem enigmatischen schwarzen Quadrat entwarf.
Die besagten Pionierinnen, zu ihnen zählten etwa Anni Albers, Vera Molnár, Charlotte Perriand sowie Olga Rosanowa und Lina Bo Bardi, wirkten nicht allein in Europa, russische Künstlerinnen reisten damals regelmäßig nach Paris, die lateinamerikanischen Länder sind nicht minder wichtig. Dass Malerinnen und Bildhauerinnen sich mit einer ungegenständlichen und eher männlich konnotierten Kunst befassten, muss man nicht als Widerspruch verstehen. Gleichwohl waren die Möglichkeiten für Frauen beschränkt, nichtzuletzt am Bauhaus. Künstlerinnen wie Anni Albers und Gunta Stölzl nutzten die Freiräume, die ihnen die Nische der Webklasse bot, während Marianne Brandt für die Metallwerkstatt des Bauhauses Objekte entwarf, die industriell gefertigt werden konnten. In Ludwigshafen sind etwa ihr Tintenfass und Buchstützen in einem abstrakten Muster in Silber, Rot und Schwarz zu sehen sowie ihre dreieckigen Serviettenhalter. Die Ausstellung, die auf einer umfassenden Recherche beruht, welche im lesenswerten Katalog weitergeführt wird, bringt zusammen, was zusammengehört: Alltag und Kunst durchdringen sich vor allem im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. So dass nicht allein Bilder und Skulpturen zu sehen sind, sondern Bühnenbilder und Kostüme von Alexandra Exter und Wawara Stepanowa, Stoffdesigns von Xenia Ender sowie das ikonische Regal, das Charlotte Perriand für die Maison du Mexique 1952 entworfen hatte. Nicht wenige der Künstlerinnen verstanden Kunst, Design und Architektur wie Perriand, die mehrere Jahre Mitglied der kommunistischen Partei war, als Teil einer gesellschaftlichen Erneuerungsbewegung. Paradoxerweise waren es gerade die Zugangsbeschränkungen zu Malklassen wie etwa im Bauhaus, die diese Künstlerinnen den Anspruch verwirklichen ließen, den Alltag zum Ziel der Kunst zu machen.
Aber auch sonst ist die Bandbreite der im Wilhelm-Hack-Museum gezeigten Arbeiten groß. Dass sie bis weit in die Nachkriegszeit entstanden sind, trägt zu der sowieso nicht zurückhaltenden Farbigkeit zusätzlich bei. Bei Margarita Azurdias unbetiteltem, in den 1960ern entstandenen Bild mit drei länglichen Rauten in Grün, Rosa und Gelb auf rotem Grund mag dies einerseits etwas mit dem Erbe ihrer guatemaltekischen Herkunft zu tun haben, doch glaubt man andererseits hier auch schon das Aufkommen der Pop-Art erkennen zu können. Wollte man den spezifischen Beitrag von Künstlerinnen für die geometrische Abstraktion benennen, ist es vielleicht dieser Umgang mit Farbe und die große Bandbreite an Materialien und Bereichen, in denen diese Frauen Pionierinnen waren. Man kann in der Ausstellung „Wir werden bis zur Sonne gehen“ viele Entdeckungen machen. Es ist gut sich zu vergegenwärtigen, dass sie derart viele ikonische Arbeiten schufen wie etwa das „Ballet neoconcreto“ von Lygia Pape aus dem Jahr 1958, die Bildkompositionen von Sophie Taeuber-Arp oder Verena Loewensberg, die Textilentwürfe von Anni Albers und die Fotos von Lucia Moholy, die unseren Blick auf das Bauhaus in Dessau geprägt haben.