Das Quadrat muss den Raum beherrschen! Aurélie Nemours und Zeitgenossen:

Quadrat
„Das Quadrat muss den Raum beherrschen! – Aurélie und Zeitgenosssen“, Installationsansicht Kunstmuseum Reutlingen konkret, 2024
Review > Reutlingen > Kunstmuseum Reutlingen
27. Januar 2025
Text: Lea Lotterer

Das Quadrat muss den Raum beherrschen! Aurélie Nemours und Zeitgenossen.
Kunstmuseum Reutlingen konkret, Eberhardstr. 14, Reutlingen.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, Sonntag 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 16. März 2025.
www.kunstmuseum-reutlingen.de

Die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum Reutlingen konkret versammelt die Arbeiten von 18 konkreten Künstlerinnen und Künstlern rund um die gleichwohl einfache wie zeitlose Geometrie des Quadrats. Dieses kann als die reinste aller Formen gelten, verweist es in seiner Konstruktion aus vier gleichen Seiten wie Winkeln auf nichts anderes als auf sich selbst. Zu den Ausgestellten zählen Anton Stankowski, der Corporate Design Pionier, der in den Siebzigern das Deutsche-Bank-Logo entwarf, und Bauhaus-Pädagoge Josef Albers.

Das berühmteste Quadrat der Kunstgeschichte ist wohl Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat, erstmals gezeigt 1915. Die in den Wandel-Hallen präsentierten Arbeiten entstanden zwischen 1939 und 2003 und bespielen den Raum in einer abwechslungsreichen Folge aus Farbe und Material. Die Urform der konkreten Kunst wird damit nicht nur an den Wänden verhandelt, sondern auch im Raum. Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Quadrat findet dabei in höchst unterschiedlichen Materialitäten, etwa im Holz, in Papier oder Stahlbeton statt. Letzterer liegt dem Werk „dix“ von Götz Arndt wortwörtlich zu Grunde. Die Bodenskulptur aus neun gegossenen Stahlbeton-Platten, die je einen Quadratmeter messen, erinnert an die Architektur des Brutalismus. Eine zehnte Platte wiederum durchbricht das Quadrat. Sie beansprucht die Dreidimensionalität des Raumes, indem sie sich aufstrebend in die Höhe biegt und damit die Absolutheit des Quadrats in Frage stellt.

Der Fokus der Schau liegt jedoch auf dem Werk der französischen Künstlerin Aurélie Nemours (1910−2005). Herzstück ist deren eigens für die Ausstellungsräumlichkeiten angefertigtes Monumentalwerk „Le long chemin“ (1989), zu deutsch „Der lange Weg“, an dem die Malerin eineinhalb Jahre arbeitete. Seit den Fünfzigern widmete sich Nemours ausschließlich der Form des Quadrats. Damals im Rahmen einer großen Retrospektive realisiert, reflektiert das Werk Veränderung und Vergänglichkeit. Die 64 Leinwände, die in fünf Farben alternieren, sind in vier Reihen zu je 16 Bildern gehängt und als Zyklus lesbar − sowohl in Bezug auf die Jahreszeiten als auch hinsichtlich der Lebensalter eines Menschen. Um den um die Ecke biegenden Bildtafeln folgen zu können, legen auch die Betrachtenden eine gewisse Wegstrecke, einen chemin im Ausstellungsraum zurück − und damit ebenso eine zeitliche Distanz. Der Weg bezieht sich hier nicht nur auf Räumlichkeit, sondern gleichermaßen auf Temporalität. Die Raum-Zeitlichkeit des Werks vollzieht sich damit auch konkret im Erlebnis der Betrachtenden im Museum. Das Quadrat beherrscht in der Folge nicht nur den Raum, sondern auch all jene, die ihn betreten.