Die Neue Sachlichkeit – Ein Jahrhundertjubiläum.
Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, Mannheim.
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 9. März 2025.
www.kuma.art
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Deutscher Kunstverlag, Berlin 2024, 408 S., 56 Euro | ca. 76.90 Franken.
Gustav F. Hartlaub (1884-1963) gelang vor hundert Jahren etwas Ungewöhnliches. Mit der Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ prägt er bis heute den Blick auf die 1920er Jahre. Hartlaub, seit 1923 Direktor der Kunsthalle Mannheim, agierte als Kurator, lange bevor dieses Berufsbild überhaupt geprägt wurde. Er veranlasste, dass zeitgenössische Kunst wie Max Beckmanns „Christus und die Sünderin“ von 1917/18 angekauft wurde und er wollte sich daran beteiligen, seine eigene Gegenwart zu verstehen. Die Ausstellung „Neue Sachlichkeit“, die 1925 stattfand, hätte schon zwei Jahre früher eröffnet werden sollen. Doch die Umstände sprachen dagegen. 1923 waren Teile der Stadt Mannheim von der französischen Armee besetzt. Massenentlassungen und die Hyperinflation lasteten auf den Bewohnerinnen und Bewohnern von Mannheim, die Stadt galt als SPD-Hochburg. Heute schauen wir mit einer gewissen Angstlust auf die Zeit, als könnte sie uns die Gegenwart erklären und die Zukunft voraussehen. Doch dies täuscht. Bei der Pressekonferenz anlässlich der Eröffnung von „Die Neue Sachlichkeit. Ein Jahrhundertjubiläum“ erinnert der jetzige Leiter der Kunsthalle Mannheim Johan Holten daran, dass heute wohl niemand hungernd und unter Einsatz seines Lebens die Kunsthalle Mannheim betritt.
Zwar gelang es Hartlaub Vertreter des linken und rechten Flügels nach Mannheim zu holen. Objektiv und sachlich sollten die Bilder der Zeit sein, aber auch die soziale Wirklichkeit abbilden und mitunter idyllisch sein. Doch keine einzige Malerin war vertreten und auch niemand aus dem Ausland. Kuratorin Inge Herold hat diesen Blick revidiert. Künstlerinnen und Künstler wie Pablo Picasso und Georgia O’Keeffe sind in der Ausstellung vertreten. In den letzten Jahren wurden Malerinnen der Zwischenkriegszeit wiederentdeckt, etwa Lotte Laserstein, von der das überraschend kleinformatige Gemälde „Russisches Mädchen mit Puderdose“ zu sehen ist. Oder Anita Rée, die einen Halbakt vor einem Feigenkaktus malt. Brüste und die Früchte des Kaktus sind ähnlich prall und sinnlich. Doch auch Maler wie Félix Vallotton porträtieren mit „Im Spiegel“ den neuen Typus Frau. Die junge Frau richtet über den Umweg des Spiegels einen prüfenden Blick auf die Betrachtenden. Frauen gehen abends aus, vergnügen sich in Bars, tanzen. Überhaupt greifen viele Künstlerinnen und Künstler die Stadt als Motiv auf, die Möglichkeiten, die sie bietet, die Zerstreuungen, die Mobilität und die verstärkte Bautätigkeit.
Doch es gibt auch die konservative Seite dieser Malerei. Gerhard Keil etwa stellt 1939 eine Turnerriege dar, die nur mit weißen Shorts bekleidet ist und die Muskeln spielen lässt. Sie laufen an antikischer Architektur vorbei, wie sie auch das Berliner Olympiastadion geprägt hat. Die vier Männer sehen aus als seien sie einsatzbereit für den Krieg, der im gleichen Jahr beginnt. Und bei Adolf Wissel, der wie Keil nicht an Hartlaubs Ausstellung beteiligt war, mündet alles Exaltierte und Uneindeutige der Zeit in die Blut-und-Boden-Idylle der bedrückten „Kaltenberger Bauernfamilie“. Drei Generationen sind hier versammelt, die Großmutter stellt ein Kleidungsstück her, die Mutter tröstet ein Kind, der Vater trägt Feldgrau. Die Stimmung ist bedrückt. Das Bild wurde von Hitler gekauft.
In einer Multimediashow wird die Geschichte der Bilder aus der Ausstellung von 1925 erzählt, soweit sie sich rekonstruieren lässt. Einige Arbeiten gelten als verschollen. Viele, insbesondere die dem veristischen Flügel zugehörig waren, wurden in den 1930er Jahren aus den Sammlungen entfernt und auf dem Kunstmarkt verkauft. Beckmanns „Christus und die Sünderin“ gelangte in die USA und konnte jetzt vom St. Louis Art Museum ausgeliehen werden. Andere wie etwa die Arbeiten Georg Schrimpfs entsprachen den ästhetischen Vorstellungen der Nationalsozialisten, auch wenn Schrimpf erst SPD-, dann KPD-Mitglied war. Er starb 1938. Nicht immer muss man auf die Bilder projizieren, was kam. Manchmal sind es auch einfach gute Bilder.