Mooni Perry – Missings: From Baikal to Heaven Lake, from Manchuria to Kailong Temple. Auf der Suche nach dem Zwischenmenschlichen

Mooni Perry, Missings: From Baikal to Heaven Lake, from Manchuria to Kailong Temple, 2024, Installationsansichten Westfälischer Kunstverein, Fotos: Thorsten Arendt
Review > Münster > Westfälischer Kunstverein
8. Januar 2025
Text: Nicole Büsing & Heiko Klaas

Mooni Perry – Missings: From Baikal to Heaven Lake, from Manchuria to Kailong Temple.

Westfälischer Kunstverein, Rothenburg 30, Münster.
Mittwoch bis Sonntag 11.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 2. Februar 2025.

www.westfaelischer-kunstverein.de

Mooni Perry, Missings: From Baikal to Heaven Lake, from Manchuria to Kailong Temple, 2024, Installationsansichten Westfälischer Kunstverein, Fotos: Thorsten Arendt
Mooni Perry, Missings: From Baikal to Heaven Lake, from Manchuria to Kailong Temple, 2024, Installationsansichten Westfälischer Kunstverein, Fotos: Thorsten Arendt
Mooni Perry, Missings: From Baikal to Heaven Lake, from Manchuria to Kailong Temple, 2024, Installationsansichten Westfälischer Kunstverein, Fotos: Thorsten Arendt

[— artline Nord] „Suffering from an unexplained loss and searching for it for years“ – diese programmatische Selbstbeschreibung bildet den Einstieg in die Website der koreanischen Künstlerin Mooni Perry. Verlust, Tod und Trauer beschäftigen die 1990 in Seoul geborene und mittlerweile zeitweise auch in Berlin lebende Künstlerin seit Langem. Jetzt zeigt der Westfälische Kunstverein in Münster ihre erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland. Konzipiert hat diese noch die ehemalige Direktorin Kristina Scepanski, die vor Kurzem ins Kulturamt der Stadt wechselte. Umgesetzt aber hat sie bereits ihre seit September tätige Nachfolgerin Theresa Roessler, die zuvor Kuratorin im Kunstverein Freiburg war.

Wer die Schau mit dem wortreichen Titel „Missings: From Baikal to Heaven Lake, from Manchurai to Kailong Temple“ betritt, wird mitgenommen auf eine transkontinentale Recherchereise, in deren Verlauf Mooni Perry sich und die Betrachter:innen mit Fragen nach kultureller Zugehörigkeit, dem Hin-und-Hergerissensein zwischen Ost und West, ostasiatischer Weisheit und europäischer Verabsolutierung des Rationalen konfrontiert. Welcome to Asia: Schon die lange Schaufensterfront des mitten in der Stadt gelegenen Kunstvereins gibt den Blick frei auf eine wandfüllende Tapete mit Manga-Figuren. Für den ersten Entwurf hat Perry eine Zeichnerin mit ins Boot geholt und diese beauftragt, zehn imaginäre Charaktere zu erfinden. Die Ausarbeitung von Details wie Make-up und Kleidung hat sie dann selbst vorgenommen, und zwar unter Berücksichtigung des zwölfteiligen Tierzyklus im chinesischen Horoskop. Herausgekommen ist ein buntes Spektrum diverser Gestalten.

Unmittelbar davor steht ein sogenanntes Joss-Paper-Haus: ein fantasievolles Gebilde aus Architekturelementen sowie Darstellungen von Menschen, Gottheiten, Tieren und Blüten. Papierhäuser wie dieses werden im Buddhismus im Rahmen von Übergangsritualen verbrannt. So etwa, um Jugendliche in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufzunehmen oder die Verstorbenen zu ehren. Ein ähnliches Haus wurde im Rahmen einer Performance der Künstlerin bereits auf dem Vorplatz des Kunstvereins in Flammen gesetzt.

Im Zentrum der Ausstelllung aber steht die rund einstündige, während mehrerer Monate in China, Taiwan und Deutschland gedrehte Filmarbeit „Missing“. Sie wird in einer multiperspektivischen 5-Kanal-Videoinstallation im komplett abgedunkelten zentralen Ausstellungsraum des Kunstvereins gezeigt. Perry hat den Film zusammen mit Frauen des von ihr mitgegründeten „Asian Feminist Studio of Art and Research“ (AFSAR) konzipiert, realisiert und produziert.

In „Missing“ lässt sie ihre Protagonist:innen über asiatische Nachtmärkte streifen, beim Essen über die Herausforderungen des Lebens philosophieren, in opulent ausgestatteten buddhistischen Tempeln der Ahnen gedenken oder in farbge­sättigten Räumen traumverloren tanzen. Immerfort sind sie auf der Suche nach dem „In Yeon“, wie im Koreanischen das Prinzip des Zwischenmenschlichen genannt wird. Mit ihren teils auffällig geschminkten Gesichtern und ihren bunten Perücken ähneln sie mitunter den Manga-Figuren draußen auf der Wand.

In ihrer Heimat hat Mooni Perry die passenden Drehorte für ihr akribisch vorbereitetes Projekt nicht gefunden. „Die Menschen in Korea haben im Zuge der Modernisierung viele ihrer Traditionen verloren. Sie spielen in unserer Gegenwart kaum noch eine Rolle“, so Perry in einem Interview. Aus diesem Grund ist sie in das noch stärker traditionellen Werten verhaftete Taiwan gereist, um überwiegend dort zu drehen. Speziell der Taoismus sei eine der Säulen östlicher Philosophie, sagt Perry. In Korea dominierten jedoch heute westliche Denkweisen. Insofern kommt ihre sehr sehenswerte, nach verschütteten ostasiatischen Narrativen forschende Ausstellung auch einer assoziationsreichen Spurensuche Perrys nach ihrer eigenen Herkunft und Identität gleich.