Leiko Ikemura: Floating Spheres. Vom Schweben und Fließen der Formen

Leiko Ikemura, Girl With a Baby, 2021, @ Leiko Ikemura und VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Jörg von Bruchhausen
Review > Emden > Kunsthalle Emden
7. Januar 2025
Text: Rainer Beßling

Leiko Ikemura: Floating Spheres.

Kunsthalle Emden, Hinter dem Rahmen 13, Emden.
Dienstag bis Freitag 10.00 bis 17.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 11. Mai 2025.

www.kunsthalle-emden.de

Leiko Ikemura, Colonia, 2014, @ Leiko Ikemura und VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Jörg von Bruchhausen
Leiko Ikemura, CP Summer, 2018, @ Leiko Ikemura und VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Kalle Sanner
Leiko Ikemura, Flower, 2009, @ Leiko Ikemura und VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Leiko Ikemura, Inclined, 1995, @ Leiko Ikemura und VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Lothar Schnepf
Leiko Ikemura, Liegende im gelben Kleid, 1997 / 2008, @ Leiko Ikemura und VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Jörg von Bruchhausen

Was für ein Auftakt: Die Pressekonferenz in der Kunsthalle Emden ist erst wenige Minuten alt, da schlägt die Künstlerin genervt einen Ortswechsel vor. Den Impuls gibt ein eifriger Fotograf, der sie an weißem Konferenztisch hinter chromglänzenden Kaffeekannen und unter kühler Beleuchtung ablichtet. Also komplimentiert Leiko Ikemura die Journaille mit der höflichen Bestimmtheit japanischer Kommunikationskultur in ihre Ausstellung. Da sehe und begegne man schließlich Künstlerin, Kunst und Architektur im Zusammenspiel. So stehen die Besuchenden also im Fadenkreuz von Installation, Immersion und Konstellation. Alles warm, vieles dämmrig, schmeichelnd und schön. Im ersten Raum von einer malerischen Beschwörung aufnehmender und einnehmender Daseinskreisläufe und einem Schattendasein von ding­lichen Projektionen begrüßt, umfängt das Publikum im zweiten Saal ein Gesamtkunstwerk. Organisch Bögen schlagende Sitzbänke, Papierarbeiten mit gestischen Liniengebilden und verwischten Farbbahnen, eine Animation verschiedener Malereien als Filmstrom.

Alles strömt in schwebenden Atmosphären. „Floating Spheres“, der Titel der Schau, erklärt sich schnell selbst. Zum visuellen Erlebnis gesellt sich das auditive: kosmische Klänge bieten eine suggestive Begleitspur. Die Töne sind den planetarischen Weiten entnommen, Sphärenharmonien, nicht weniger als das Universelle. Auf mehreren niedrigen Podesten verteilt, erzählen hybride Figuren aus Mädchenkörper und Blumenanmutungen von Übergängen und Zwischenzuständen. Das Reifende und Aufblühende sei mit dem Verkleinerungssuffix verfehlt, erklärt die Künstlerin. Es handele sich bei der Epoche der Adoleszenz um etwas Großes, Eigenständiges. Die Kunst lasse sich wohl analog sehen: Wandlung und Transformation kennzeichneten sie, das Dazwischen sei der Bezirk des Ästhetischen.

Leiko Ikemura versteht sich nicht als Botschafterin japanischer Kunst und Kultur. Zu lange schon lebt sie in Europa, um nicht auch durch hiesige Kunst sozialisiert zu sein. Im Köln der 1990er Jahre sei sie mit den „Neuen Wilden“ konfrontiert gewesen. Der Energieaustausch mit deren Großformaten habe bei ihr die konzentrierte Hinwendung zum Wesenskern der Dinge und Darstellungen befördert. Lyrisch-informelle Papierarbeiten, archaische Zeichenräume, Kopffüßler bezeugen Anleihen und eigenes Weiterschreiben vielfältiger Impulse.

Immer wieder treten Figurationen und Szenen auf, die vom Einssein des Menschen mit der Natur sprechen. Tierhaftes und Pflanzenhaftes schließen an den menschlichen Körper an oder fließen in ihn ein. Das Einssein in kosmischen Dimensionen und in der kleinsten Monade stehen für das gleiche universelle Prinzip. In einer Reihe von Zeichnungen tritt ein narratives Element stärker hervor, wenn Protagonisten sich in malerisch und grafisch unterschiedlich temperierten Bezirken bewegen.

Bei einer Gruppe von Landschaftsmotiven zeigen sich unterschiedlichste Referenzen und Bildsprachen: expressionistische und symbolistische Prägungen ließen sich identifizieren. Malereien auf Jute greifen die haptische Stofflichkeit des Bildträgers auf, verbinden diese Rauheit aber mit zartem Farbenfluss. In diesen schwebenden und fließenden Landschaftsformen bildet ein erdiges Kolorit und eine griffige Materialität sowohl Kontrast als auch Einheit. Spielen Licht und Schatten – meist in Gestalt eines dämmrigen Zwischenzustands – eine wichtige Rolle in der Kunst Leiko Ikemuras, repräsentieren auch ihre Kompositionen jenseits von einfacher Symmetrie und abseits von formaler Perfektion ein Japan zugesprochenes ästhetisches Empfinden. Fazit: Atmosphärisch dichte Räume als Ergebnis eines Lebens und Arbeitens zwischen sich teils nahen, teils einander fernen Kulturräumen. Nicht zuletzt wartet auch das Entdecken des Eigenen im Anderen und umgekehrt.