Elodie Seguin: Look Loop. Das Unsichtbare sichtbar machen

Elodie Seguin, Look Loop, Ausstellungsansicht, PEAC Museum, 2024. Foto: Bernhard Strauss
Review > Freiburg > PEAC Museum
6. Januar 2025
Text: Dietrich Roeschmann

Élodie Seguin: Look Loop.

PEAC Museum,
Robert-Bunsen-Str. 5, Freiburg.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Artist Talk mit Elodie Seguin und Luca Cerizza: So, 12.1.. um 11 Uhr.
Bis 9. März 2025.

www.peac.digital

Elodie Seguin, Look Loop, Ausstellungsansicht, PEAC Museum, 2024. Foto: Bernhard Strauss
Elodie Seguin, Look Loop, Ausstellungsansicht, PEAC Museum, 2024. Foto: Bernhard Strauss

Elodie Seguin scheint besessen von der Idee, das Abwesende mit den Mitteln der Kunst einzufangen. Das klingt schon in den Titeln der Arbeiten an, die sie für ihre umfangreiche Soloschau im Freiburger PEAC Museum realisiert hat. Sie heißen schlicht „1“, „2“, „3“ und so weiter, benannt nach der Abfolge der Räume, die nach „9“ wieder im Foyer münden, von wo aus einen Seguins Wandmalerei mit dem auffordernden Titel „Look Loop“ erneut auf den Parcours durch die Säle schickt. „1“ erzählt nichts über die konkrete Arbeit, die in Saal eins ausgestellt ist. Außer, dass sie eben dort ihren Platz hat – und nirgendwo anders. Das allerdings ist Seguin wichtig. Denn jede ihrer Arbeiten entsteht exakt für den Ort, an dem sie gezeigt wird. Und verschwindet danach so spurlos wie sie gekommen ist.

Glauben kann man das eigentlich kaum. Denn der Aufwand, den die in Paris lebende Künstlerin für ihre Arbeiten betreibt, ist enorm. Fünf ganze Wochen dauerte der Aufbau im PEAC Museum, das währenddessen geschlossen war. Warum die Zeit trotzdem kaum reichte, lässt gleich zu Beginn die wandfüllende Arbeit „2“ erahnen. Vom Boden bis zum schmalen Spalt unter der Decke hängen dort dicht an dicht rund 500 transparente Plastikbeutel in Reihen übereinander, je zu drei Vierteln mit Wasser gefüllt. Eine minimalistische Versuchsanordnung, die zeigt, wie Licht der Transparenz eine Form gibt. Die Präzision, mit der diese Arbeit ausgeführt ist, ist verstörend und anziehend zugleich. Doch der Verdacht, dass Schwerkraft, Materialermüdung oder Eintrübung schon bald anfangen könnten, gegen diese Präzision zu arbeiten, erzeugt eine spürbare Spannung, getaucht in das gleißend weiße Deckenlicht, das keinen Makel verzeiht.

Im Gegenteil. Es schärft auch den eigenen Blick, der nun mit winzigen Pupillen über die scharfen Kanten der mit leuchtenden Pigmenten bemalten Papierprofile streift, die an der Wand hängen wie Neonskulpturen von Dan Flavin, oder über zwei Dutzend mit dem Thermoformer aus durchsichtigem Plastik geprägte Setzkästen, in deren Fächern nahezu passgenau monochrome Farbkörper liegen. Andere Fächer dagegen bleiben leer, als ginge es darum, den Raum als Bedingung der An- oder Abwesenheit verschiedener Dinge zur selben Zeit in den Fokus zu rücken. Von Bildobjekt zu Bildobjekt sortieren sie sich hier zu immer neuen Konstellationen wie in einer Art Malereiexperiment nach den Montessori-Regeln.

Zum spektakulären Versteckspiel mutiert Seguins sehenswerte Schau im mittleren Raum, den die Künstlerin mit einer schwarz und weiß bemalten, aus Papier geschnittenen Gittermembran in zwei Bereiche aufgeteilt hat. Während der eine Teil passiert werden kann, bildet der Raum hinter der Papierwand eine nicht begehbare Bühne für ein Setting aus akkurat gestapelten Kartons, Farbeimern oder Kleberollen in flirrenden Pastelltönen. Die hauchdünnen Papierstege der Gitterwand, die sich beim Versuch, in diesen Raum zu schauen, immer wieder vor das Auge schieben, machen es unmöglich, die Szene als ganze zu erfassen. Orientierungslos flackert der Blick zwischen Nah- und Fernsicht, ohne wirklich in die Tiefe vorzudringen – was das Sehen selbst auf merkwürdige Weise zu einer Grenzerfahrung macht.

Ähnliches gilt auch angesichts der Scheinarchitekturen, mit denen Seguin hier mal die Illusion eines unterkühlten Wohninterieurs erzeugt, mal durch massive Einbauten die Grenzen zwischen Malerei und Installation verwischt – oder den Museumsraum durch Verblendungen aus MDF-Rahmen und eingefärbtem Plexiglas in giftig gelbes Licht taucht, das den Körper unweigerlich Stresshormone ausschütten lässt. Es ist nicht zuletzt diese seltsam überspannte Wachheit, welche Elodie Seguins eigenwillige Auseinandersetzung mit den Sammlungsschwerpunkten des PEAC Museums vom Minimalismus bis zum Radical Painting umgibt und ihre Werkschau zu einem echten Erlebnis macht.