Gary Hill: Eine Frage der Wahrnehmung. Nachbilder und ganzkörperliche Erlebnisse

Gary Hill, Commentary, 1980 Video, Farbe, Ton, 1:01 min Ed. 3/30 + 5 AP Kunstmuseum Wolfsburg, Schenkung des Künstlers © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
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31. Dezember 2024
Text: Bettina Maria Brosowsky

Gary Hill: Ein Frage der Wahrnehmung.

Kunstmuseum Wolfsburg, Hollerplatz 1, Wolfsburg.
Dienstag bis Freitag 10.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 16. März 2025.

www.kunstmuseum.de

Gary Hill, Bemerkungen über die Farben [Remarks on Color], 1994 Video, Farbe, Ton, 42 min Ed. 2/5 Kunstmuseum Wolfsburg, Schenkung Christian Gerhartl © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Gary Hill, Windows, 1978 Video, schwarz-weiß und Farbe, ohne Ton, 8:24 min Ed. 3/30 + 5 AP Kunstmuseum Wolfsburg, Schenkung des Künstlers © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Gary Hill, Primary, 1978 Video, Farbe, Ton, 1:19 min Ed 3/30 + 5 AP Kunstmuseum Wolfsburg, Schenkung des Künstlers © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

[— artline Nord] Mit 46 Werken aus fünf Jahrzehnten besitzt das Kunstmuseum Wolfsburg den größten Sammlungsbestand des US-Videopioniers Gary Hill (*1951) in Deutschland. Er war einer der ersten Künstler, der die Videoaufzeichnung radikal modifizierte: Sprache wird seziert, Farben werden manipuliert, Synthesizerklänge integriert und so komplexe Installationen erschaffen. Seine Videoarbeit „Bathing“ von 1977 war kürzlich als Leihgabe im ehrwürdigen Herzog Anton Ulrich Museum in Braunschweig zu sehen, in der Ausstellung „Mythen des Wassers“. Sie untersuchte die ambivalente Rolle dieses Lebenselixiers, etwa auch den indiskreten, männlichen Blick auf Frauengestalten beim Baden, seien sie nun von biblischer, mythologischer oder ganz realer Gestalt. Hills Protagonistin liegt mit geschlossenen Augen in der Wanne, im Hintergrund plätschert der Wasserhahn. Die Kamera bewegt sich sanft über den Frauenkörper, zentriert das Gesicht knapp über der Wasseroberfläche. Die Frau greift in ihre Haare, beginnt, sie zu waschen. Die Bewegung wird eingefroren und bleibt als schwarz umrandetes Monitorbild farbverfremdet sekundenlang stehen. Solch Schnitte geschehen noch öfter während des viereinhalbminütigen Ablaufs, die Standbilder verweisen auf Motive der Kunstgeschichte, wie „Susanna im Bade“, gemalt von Rubens, Rembrandt oder auch Vertretern des Impressionismus.

Dieser kleine Einblick in die Arbeitsweise Hills bot den Vorgeschmack auf eine umfangreiche Präsentation, die das Kunstmuseum Wolfsburg nun aus seinen Beständen zeigt – die zweite Personale nach einem Werksquerschnitt im Jahr 2002. Neben „Bathing“ sind auch neuere Installationen zu sehen, die hier erstmals gezeigt werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Konstruktion der Wirklichkeit, ihrer Wahrnehmung und Bedeutung, die Gary Hill mit multiplen künstlerischen Mitteln analysiert. Er erzählt keine Bildgeschichten, im Gegenteil: Mittels der technischen Möglichkeiten orchestriert, moduliert und inszeniert er Erfahrungen oder phänomenologische Erscheinungen, heißt es aus Wolfsburg. Und: Über eine reine Bild- und Medienkritik hinaus veranlassen seine Arbeiten dazu, gewohnte Wahrnehmungsmuster so­wie das eigene Urteilsvermögen infrage zu stellen.

Aber keine Angst: so konzeptuell verkopft und didaktisch sind Gary Hills Arbeiten dann doch nicht. Sie sind immer auch ästhetische Angebote und oft ganzkörperliche Erlebnisse. Etwa wenn, wie in der Raumarbeit „Reflex Chamber“ von 1996, Strobos­koplicht eingesetzt wird: Nachbilder werden stimuliert, also von den Betrachtenden physiologisch selbst generierte Sinneseindrücke.