Amy Sillman: Oh, Clock.
Kunstmuseum Bern, Hodlerstr. 8-12, Bern.
Dienstag 10.00 bis 20.00 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 2. Februar 2025.
www.kunstmusembern.ch
Ob Amy Sillman (*1955) es wieder gemacht hat, ist nicht bekannt. 2016 jedenfalls als Donald Trump das erste Mal zum Präsidenten der USA gewählt wurde, zeichnete sie eine Figur, die in die Knie gegangen war und sich auskotzte. „Election Drawings“ hatte die amerikanische Künstlerin diese Arbeit genannt und weil die Figur sich sowieso schon am Boden befand, entwickelten sich aus dieser Körperhaltung weitere Bewegungen und Variationen. So als ließe sich aus dem ganzen Ungemach zumindest etwas Sinnhaftes gewinnen. Doch was ist, wenn Zeitgeschichte zu Wiederholungen neigt? Was macht das mit der Produktivität? Für die in New York lebende Sillman ist ihr Atelier jedenfalls kein weltabgewandter Ort. So sagt sie in einem Gespräch mit den beiden Kuratorinnen Kathleen Bühler und Eva Birkenstock im Katalog zu ihrer Berner und ihrer Aachener Ausstellung: „Wenn man zuhört und aufmerksam ist und die Zeitung liest und sich mit ganzem Herzen mit der Malerei und der Welt beschäftigt, dann ist deine Arbeit von einer Art metabolischer Reaktion durchdrungen.“
Amy Sillmans Bildern ist eine gewisse Offenheit zu eigen, obwohl sie das Ergebnis zeitintensiver und sich widersprechender Prozesse sind – so schichte sie ihre Leinwände nicht einfach, sondern nimmt weg, was sie aufbaut als sei Malen vor allem ein Kreislauf oder eine Balance zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen Gesten. In „Harpie“ etwa bilden senkrechte Linien ein durchlässiges Raster. Die Flächen, die sie mit Farbe schafft, scheinen einen räumlichen Körper zu formen. Und in der Arbeit „Oh, Clock“, die der Ausstellung, die nach ihrer Station am Kunstmuseum Bern an das Aachener Ludwig Forum wandert, ihren Titel gab, strukturieren rote Linien das Bild. Sie erinnern inmitten von farbigen Flächen an Zeitmesser. Links ist eine Art heller Schemen zu sehen, so wie Sillmans Malerei grundsätzlich Abstraktion und Figuration miteinander verbindet. Der Strich und die Zeichnung ließ in den 1980er Jahren Sillman die Malerei weniger angreifbar für grundsätzliche Kritik und weniger schwerfällig erscheinen, näher an der Poesie, am Tanz und am Jazz, wie sie schreibt.
Doch Zeitlichkeit in Sillmans Werken meint auch den Entstehungsprozess. Die Leinwände sind Speicher von Zeit, auf ihre ganz eigene Weise rhythmisiert, die Zeichnungen sind als Serien konzipiert und nummeriert. Und diesen Rhythmus, diese Taktung ist im Kunstmuseum Bern überall zu erleben. Die Hängung greift den Aufbau der Bilder auf, in einem der Räume zieht sich als Diagonale ein schmales Display mit Papierarbeiten hindurch. Es sieht ein bisschen so aus wie das Storyboard eines Filmes. Denn Sillman montiert Zeichnungen zu Animationen, oft zusammen mit den Komponistinnen Marina Rosenfeld und Wibke Tiarks. Die Grundidee dieser bewegten Bilder ist die Metamorphose. Jede Gestalt verändert sich, der Hund, der angefahren wird, wird im nächsten Moment von einem Schwein gefressen. Und in ihrem „Frieze for Venice“, eine Malereiinstallation, die auf der Biennale von Venedig 2022 zu sehen war, laufen zwei Friese übereinander her. Die kleinformatigen Arbeiten hängen über den großen Siebdrucken auf einem blauen Streifen. Man kann sie nicht als fortlaufende Erzählung lesen, doch wiederholen sich Motive wie der Reiter oder der Schütze und auch bei den abstrakteren Arbeiten ist zu erkennen, dass Amy Sillman die Schablone mehrfach einsetzte und den Druck dann überarbeitete.
Im oberen Stockwerk komponiert Amy Sillman Werke aus der Sammlung des Kunstmuseum Bern in Schichten und Überlagerungen. So ist Thomas Hirschhorns Arbeit „Buffet“ von 1995 gerahmt von gelben Stoffen installiert, und Sillmans Werk „Fatso“, dessen Pinselstrich an einen Comic erinnert, hängt auf einer Wandmalerei zusammen mit Arbeiten von Fernand Léger und Amelie von Wulffen. Es stellt sich dabei die gut gelaunte Exaltiertheit ein, die auch ihre Malerei hervorruft.