Johanna Mangold.
Regionale 25. Artificial Life and Death (Videoprogramm).
Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg, Eschholzstr. 77, Freiburg.
Donnerstag bis Freitag 17.00 bis 20.00 Uhr, Samstag 14.00 bis 20.00 Uhr, Sonntag 14.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 12. Januar 2025
Johanna Mangold (*1984 in Kempten) studierte Freie Malerei und Freie Grafik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und schloss ihr Studium mit einem postgradualen Meisterschülerprogramm ab. Seitdem hat sie sich mit einer bemerkenswerten Vielfalt an Medien und Themen beschäftigt, die sie in ihrer künstlerischen Praxis immer wieder neu verknüpft. In ihren Arbeiten treffen organische Formen auf digitale Ästhetiken, intuitive Prozesse auf technische Präzision, und persönliche Geschichten verweben sich mit universellen Fragestellungen.
Mangolds Werke zeichnen sich durch eine beeindruckende mediale Bandbreite aus. Sie bewegt sich zwischen Zeichnung, Malerei, Skulptur, Text, Sound, Video und neuen digitalen Technologien wie VR. Ihre künstlerische Praxis ist nicht auf ein Medium beschränkt; vielmehr wählt sie je nach Thema und Intention das passende Ausdrucksmittel. Mangold begreift jedes Medium als neue „Zugangsebene“, von der aus sich ein Thema aus einer anderen Perspektive betrachten lässt. Diese Offenheit spiegelt sich nicht nur in ihren Werken, sondern auch in ihrem Arbeitsprozess wider. Häufig beginnt sie mit Zeichnungen, die dann in Videos, Klangkompositionen oder Skulpturen überführt werden. Dabei ist es für sie von großer Bedeutung alle Schritte des praktischen Schaffensprozesses selbst zu erlernen und auszuführen.
Mangold konstruiert Installationen, die den Betrachtenden als Entdeckungsräume dienen. Sie kombiniert Elemente wie Videoarbeiten, Textilien und interaktive VR-Umgebungen, die zusammen ein kohärentes, aber vielschichtiges Narrativ ergeben. Diese intermedialen Installationen ermöglichen es dem Publikum, die Beziehungen zwischen den einzelnen Medien und den wiederkehrenden Motiven ihrer Arbeiten zu erkunden.
Im Zentrum von Mangolds Werk stehen die Themen Traum, Bewusstsein und Erinnerung, welche sie in kollaborativen Projekten oder Einzelausstellungen untersucht. Mangold beschäftigt sich intensiv mit dem Spannungsfeld zwischen Traum und Realität, da sie Träume als ein „anderes Leben“ begreift – einen emotional realen, aber oft unterschätzten Bereich unserer Existenz. Für Mangold sind Träume von tiefgreifender Bedeutung, da sie authentische Gefühle wie Angst, Freude oder Verletzlichkeit hervorrufen und so eine reale Erfahrung darstellen. Geprägt durch ihre Großmutter, die ihre Traumgeschichten mochte, betrachtet sie Träume als Quelle von Kreativität und emotionaler Tiefe, die sie in ihrem künstlerischen Schaffen weiter erforscht.
Ein entscheidender Wendepunkt in ihrer Auseinandersetzung mit Träumen und alternativen Realitäten war Mangolds Begegnung mit Virtual Reality. Ihre erste Erfahrung mit einer VR-Brille beschreibt sie als ein Erlebnis, das an einen luziden Traum erinnerte. Diese Beobachtung offenbarte ihr die Parallelen zwischen virtuellen Welten und den von Emotionen und Erlebnissen geprägten Traumbildern und führte zu einer intensivierten Auseinandersetzung mit digitalen Medien, insbesondere der VR als Mittel zur Darstellung von Zwischenwelten.
In mehreren Arbeiten hat Mangold virtuelle Umgebungen geschaffen, die es den Betrachter*innen ermöglichen, in surreale Traumlandschaften einzutauchen. Diese digitalen Welten kontrastiert sie oft bewusst mit haptischen, analogen Materialien wie Textilien, um eine Balance zwischen greifbarer Realität und digitaler Abstraktion zu schaffen.
Neben der Arbeit mit VR und virtuellen Umgebungen beschäftigt sich Mangold in ihrer multimedialen Kunst auch intensiv mit den Möglichkeiten verschiedener KI-Modelle.
Derzeit arbeitet die Künstlerin mit einem KI-Modell, das ausschließlich mit ihrem eigenen Bildmaterial trainiert wird, um ethische Fragen der Datennutzung zu umgehen und ein geschlossenes, persönliches Universum zu kreieren. Mangold betrachtet KI nicht nur als einfaches Werkzeug, sondern als Co-Kreatorin in ihrem Schaffensprozess, die neue Möglichkeiten der künstlerischen Reflexion eröffnet.
Für ihre Videoarbeit „Palm and Cheek (2023)“, die derzeit im Videopgramm „Artificial Life and Death“ im Rahmen der Regionale 25 im E-Werk Freiburg zu sehen ist, nutzte Mangold eine KI mit Text-to-Video-Algorithmus, um animierte Sequenzen von Händen und Gesichtern zu erstellen. Diese wurden anschließend manuell bearbeitet und wieder in die KI eingespeist, wodurch ein iterativer Arbeitsvorgang entstand. Die Rolle der KI soll in Mangolds Werken dabei stets sichtbar sein, sei es durch die bewusste Betonung technischer Unzulänglichkeiten oder durch die Schaffung neuer, hybrider Ästhetiken.
„Palm and Cheek (2023)“ zeigt die Fehlerhaftigkeit der künstlichen Intelligenz bei der Darstellung von menschlichen Extremitäten auf. Mangold nutzt diese vermeintlichen Schwächen bewusst als Metapher für die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen und die Unmöglichkeit, Emotionen und Berührungen vollständig zu reproduzieren.
Die Videoarbeit besteht aus zwei Teilen. Der erste zeigt animierte Sequenzen von Händen, die sich berühren und miteinander verschmelzen. Dabei bleibt die Ästhetik bewusst im „uncanny valley“ verhaftet: Die Hände wirken gleichzeitig vertraut und fremd, ihre Form unvollständig und surreal. Der zweite Teil konzentriert sich auf abstrahierte Gesichter und Köpfe, die von Händen umspielt werden. Begleitet werden die Bilder von schwerfälligen Synthesizer-Klängen und verfremdetem Gesang, der geteilte emotionale Erfahrungen beschreibt. Die Arbeit schafft ein vielschichtiges Erlebnis, das die Grenze zwischen Technologie und Intimität hinterfragt.
Johanna Mangolds Kunst bewegt sich konsequent in Zwischenräumen. Ob zwischen analog und digital, bewusst und unbewusst oder Traum und Realität – diese Schwellenbereiche bilden das Herzstück ihrer Arbeit und fordern das Publikum dazu auf, sich mit grundlegenden Fragen auseinanderzusetzen: Wie beeinflusst Technologie unsere Wahrnehmung von Körperlichkeit und Intimität? Welche Rolle spielen Träume und Erinnerungen in unserer Identitätsbildung? Und wie können wir diese Zwischenräume nutzen, um neue Perspektiven zu entwickeln?
— Dieser Text entstand im Rahmen des Hauptseminars „Kunstkritik: Zeitgenössische Kunst zum Sprechen bringen“ im WS 2024/25 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg.