Anan Fries

Ecto Bag (commercial), 2024, copyright Anan Fries
Porträt
18. Dezember 2024
Text: Eos Goldbrunner

Anan Fries.
Regionale 25. Artificial Life and Death (Videoprogramm).
Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg, Eschholzstr. 77, Freiburg.
Donnerstag bis Freitag 17.00 bis 20.00 Uhr, Samstag 14.00 bis 20.00 Uhr, Sonntag 14.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 12. Januar 2025
gegenwartskunst-freiburg.de
www.ananfries.net

Ecto Bag (commercial), 2024, copyright Anan Fries
Ecto Bag (commercial), 2024, copyright Anan Fries
Anan Fries
Anan Fries
Ecto Bag (commercial), 2024, copyright Anan Fries

Und, was hast du in deiner Tasche? Vermutlich kein Baby. Anan Fries zeigt bei der Regionale 25 einen Werbespot für eine ungewöhnliche Idee: eine Handtasche, in der ein Mensch heranwachsen kann.

Dröhnender Bass, Neonlicht und lässige Kleidung. In schnell wechselnden Szenen werden Nahaufnahmen aus einem Studio gezeigt und erinnern an Werbespots von Designer-Größen wie Chanel oder Gucci. Im Stil einer Backstage-Aufnahme wird die Kamera von Hand getragen und verrückt so an einigen Stellen das Bild. Aus dem Off hört man ein belustigtes Lachen. Die Arbeit „Ecto Bag (commercial)“ (Ecto Tasche, Werbung), ein 4:28-minütiges Video von Anan Fries aus dem Jahr 2024, ist in der Galerie für Gegenwartskunst im Freiburger E-Werk als Teil der Ausstellung „Artificial Life and Death“ (Künstliches Leben und Tod) zu sehen. Paarweise bewegen sich Menschen zu Technomusik. Was die Szenen miteinander verbindet, ist eine Tasche. In fleischigem Rosa und mit silbernen Ornamenten versehen, die an Adern erinnern, hat das Objekt etwas von einer sexy Designer-Tasche und einem tragbaren Organ. Vor rotem Hintergrund erscheint Anan Fries als CTO der Firma. Mit verzerrter Stimme wirbt die Kunstschaffende Person, die in Berlin und Basel lebt, für die Tasche: „Die Zukunft der Reproduktion ist Design, die Zukunft der Reproduktion sieht gut aus“. In einem schimmernden Meer aus Rosatönen offenbart die Arbeit das Innere, in dem ein menschliches Baby heranwächst. Nach einer halben Minute wird im Video ein queeres Paar gezeigt, das sich fürsorglich um sein Neugeborenes kümmert. Die Kamera verharrt für einige Momente auf den Armen, die den nackten kleinen Körper halten. Zu Ende stellt das Video eine neue Kollektion vor, drei weitere Aufmachungen der Tasche, in unterschiedlichen Farben und Formen. Jetzt ist die Ecto Bag sogar als schicker, transparenter Rucksack erhältlich.

Die Idee zur Arbeit hat Anan Fries aus dem Vorläufer „Ecto Bag“ weiterentwickelt. In der Ausstellung „Virtual Beauty“ im Basler HeK (Haus der Elektronischen Künste) im vergangenen Sommer korrespondierten ein 3D-Druck der Tasche und ein Video miteinander. Beide Arbeiten befassen sich mit dem Thema Schwangerschaft aus posthumaner und xeno-feministischer Perspektive. Xeno-Feminismus verbindet feministische Theorie mit transhumanistischen Ideen und setzt sich für eine radikale Veränderung von Gesellschaft und Geschlechterverhältnissen ein. Im Zentrum des Xeno-Feminismus stehen mehrere Schlüsselideen, unter anderem die Sicht auf Technologie als Befreiung, eine Anti-Natur-Haltung und das Fordern von radikaler Gleichstellung. „In unserer Gesellschaft haben wir einen Haufen Normen, wie wir von Schwangerschaften erzählen. Diese möchte ich hinterfragen und herausfordern“, sagt Fries. „Was wäre, wenn alle Körper gleichwertig schwanger werden könnten?“ Die Kunstschaffende Person identifiziert sich selbst als nicht-binär und möchte mit den Arbeiten die eigene Erfahrung mit Schwangerschaft auf eine gesellschaftliche Ebene erweitern. Nach zehn Jahren Performance-Kunst in großen Häusern und Institutionen wie der Berlin Art Week 24, HAU Berlin und der Kaserne Basel arbeitet Fries heute mit virtuellen Welten. In „Posthuman Wombs“ von 2022 kann das Publikum via VR-Brillen einen Ausflug in den Bauch eines schwangeren Posthumanen-Menschen unternehmen und dort auf eine Gemeinschaft geschlechtsdiverser Avatare treffen.

In einem Interview mit der Berlin Art Week bezeichnest du die Erfahrung einer Schwangerschaft als Hack, dieser Begriff wird normalerweise in der Computersprache verwendet. Was bedeutet das für deine Sicht auf das Schwanger-Werden?

Fries: „In meiner Arbeit [Posthuman Wombs] denke ich über Schwangerschaft als Hack nach, und darüber, wie es wäre, wenn irgendwann alle Körper, unabhängig von ihrer biologischen Disposition, schwanger werden könnten. Schwangerschaft wird gesellschaftlich stark gegendert und romantisiert. Die Frau wird schwanger und gebärt. An diesen Stereotypen arbeite ich mich ab. Außerdem wird Schwangerschaft oft nur als schön und erstrebenswert dargestellt, in Wahrheit können Schwangerschaften aber auch gefährlich sein. Die medizinische Forschung zu FLINTA-Körpern hinkt der von Männern um Meilen hinterher. Bei FLINTA-Körpern of Color, beispielsweise denen von Schwarzen Frauen, ist es noch viel extremer. Menschliche Reproduktion ist nun mal mit vielen Risiken verbunden. Im gesellschaftlichen Diskurs geht es meist darum, was man als schwangere Person zu leisten hat, damit das Baby als Gemeinschaftsgut in Sicherheit ist. Dabei rückt in den Hintergrund, dass Schwangerschaften psychisch und physisch extreme Erfahrungen sind. Meine eigene Schwangerschafthatte etwas Entfremdendes. Die Autorin Sophie Lewis beschreibt Schwangerschaft in einem Essay als ‚innere Besiedlung von Aliens‘, als eine seltsame Machtübernahme, die auch mit Kontrollverlust verbunden ist.“

Für welchen Zweck hast du die Ecto Bag erschaffen?

Anan Fries: „Schwanger zu werden ist bisher aus biologischen und finanziellen Gründen nicht allen möglich. Queere Familien bekommen beispielsweise vom deutschen Staat nicht die gleiche Unterstützung wie heterosexuelle, verheiratete Paare. Meine Arbeit beschäftigt sich mit der Repräsentation von alternativen Familienmodellen – mich interessieren Alternativen zu dem klassischen Vater-Mutter-Kind-Modell. Die Ecto Bag ist eine technologische Spekulation: Wenn Schwangerschaft nicht für alle zugänglich ist, wie wäre es, wenn sie außerhalb des Körpers stattfinden würde? Dann könnten wir uns die Erfahrung mit all ihren Hürden besser teilen und auch zum Beispiel zu dritt involviert sein. Mir ist bewusst, dass meine Arbeit eine Provokation für Menschen sein kann, die Technologie nicht als utopisch denken können. Dabei soll sie vor allem die menschliche Biologie hinterfragen. Das Xeno-Feministische Manifest besagt: ‚If nature is unjust, change nature!‘ (Wenn die Natur ungerecht ist, ändern Sie die Natur!). Dabei interessiert mich eine Spekulation: Wenn wir Natur auf diese Weise hacken könnten, dann würden sich auch herrschende Rollenbilder und Klischees verändern. Als Ausgangspunkt soll dafür das Stichwort Gleichheit gelten. Ich habe kein Problem mit dem klassischen Hetero-Modell einer Familie, es soll einfach genügend Platz für alle geben.“

Künstliche Intelligenz und technische Neuerungen stehen seit Beginn im öffentlichen Diskurs. Du selbst arbeitest mit virtueller Kunst, wie stehst du zu dieser Debatte?

Anan Fries: „Bei dem Podcast ‚The Good Robot‘ (Der gute Roboter) von Kerry McInerney und Eleanor Drage wird zu Anfang jeder Folge den interviewten Personen die Frage gestellt, ob es so etwas wie gute Technologie gebe. Alle Technologien, die uns umgeben, konfrontieren uns mit dem Problem der doppelten Nutzung. Wie können wir es hinbekommen, Technologien auf eine faire Art und Weise zu verwenden? Auf eine, in der sie keine Wiedersprüche und Gewalt reproduzieren? Besonders in einer Zeit, in der technische Erneuerungen in Rekordzeit unsere Realität verändern. Die Forschung am künstlichen Uterus ist bereits in vollem Gange. In den USA und den Niederlanden werden solche zurzeit für Babys entwickelt, die zu früh geboren werden. Wohin bewegt sich die Forschung danach? Vielleicht kann in Zukunft ein Mensch auch außerhalb des Körpers von Befruchtung bis hin zur Geburt heranwachsen. Es gibt außerdem wissenschaftliche Projekte, die Eizellen und Spermazellen aus normalen Körperzellen fabrizieren. Eine Maus, die zwei biologische Väter hat, gibt es bereits. Wenn diese Technologie für den Menschen zugänglich wird, können auch homosexuelle Paare biologische Kinder miteinander bekommen.“

Laut Fries braucht es für den richtigen Umgang mit solchen Technologien ein sozialpolitisches Bewusstsein mit dementsprechenden Gesetzen: „Kunst hat den Auftrag, mit intelligenten Narrativen den Prozess der technischen Neuerung zu begleiten. Virtual Reality habe ich aus dem Interesse am Erbauen von Welten entdeckt. Die Möglichkeiten sind endlos. Wendepunkt für mein künstlerisches Schaffen war ein Projekt, in dem wir mit einer Computerspiel-Software gearbeitet haben. Nach zehn Jahren war ich von der Performance-Kunst erschöpft. Man steckt viel Arbeit in etwas, was nur für wenige Momente und wenige Menschen sichtbar ist. Virtual Reality war für mich eine Möglichkeit, um mit ähnlicher Herangehensweise mehr Zugang zu schaffen.“ Das Hacken eines Körpers kann nach Fries als Utopie verstanden werden. Was, wenn wir alle gleichwertig schwanger werden könnten – unabhängig von unseren biologischen Voraussetzungen?

Dieser Text entstand im Rahmen des Hauptseminars „Kunstkritik: Zeitgenössische Kunst zum Sprechen bringen“ im WS 2024/25 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg.