Regionale 25. Heim:suchen.
Delphi_Space, Brombergstr. 17c, Freiburg.
Freitag bis Samstag 17.00 bis 20.00 Uhr, Sonntag 15.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 5. Januar 2025.
delphi-space.com
IG: @emmadowdyspeedmusik und instagram.com/dj_wurm
Der tiefe Bass aus dem Lautsprecher verbindet sich mit der erwartungsvollen Spannung in der Luft. Gaspard Emma Hers‘ (*1995) Live-Performance während der Vernissage der Regionale 25 im Freiburger Delphi_Space vereint angenehme, atmosphärische Sounds mit grellen Sirenen und dumpfen, maschinellen Geräuschen. Auch die vier ausgestellten Zeichnungen der Serie „untitled“ spiegeln diese Kontraste wider. Mit Graphit auf Papier entwirft Hers Kreaturen, bei denen man sich nicht entscheiden kann, ob sie unheimlich oder auf wundersamer Weise niedlich sind. Sie haben monsterhafte, zusammengesetzte Körper und ihre Gesichtsausdrücke verraten ihre Emotionen auf kindlich-naive Weise. Manche wirken verschreckt, andere zufrieden oder wütend. Bewusst verwendet Hers ausdrucksstarke Objekte, wie einen Augapfel, Gespenster, Spinnenweben oder Kerzen, welche je nach Prägung des Betrachters verschiedene Assoziationen wecken können. So erschafft die Künstlerperson eine multimediale Welt aus hybriden Fabelwesen, mehrdeutiger Symbolsprache und düsteren Sounds.
Gaspard Emma Hers wuchs in Frankreich auf und studierte zunächst Sound Art an der Haute École des Arts du Rhin (HEAR) in Mulhouse, wo es auch zu den ersten Berührungspunkten mit elektronischer Musikproduktion kam. Danach führte der Weg in den „gruseligen Teil der Kunstschule“, wie Gaspard Emma Hers die Keller der HEAR in Strasbourg nennt. Der Master in der unkonventionellen Sektion „Hors Format“ bot der vielfältigen Künstlerperson die Gelegenheit, mit Musik, Videokunst und Narrativen zu experimentieren und eine individuelle künstlerische Sprache zu entwickeln. Nach dem Abschluss zog Hers nach Brüssel und widmet sich erstmal ganz der Musik.
Die Zeichnungen der „untitled“ Serie offenbaren den Einfluss von franco-belgischen Comics und japanischen Mangas auf Gaspards Arbeiten. Zum Beispiel, prägte Shigeru Mizukis Erzählung „Kitaro le repoussant“ die Künstlerperson seit der Kindheit. Mizuki vereint darin japanische Mythologie mit westlichen Elementen – ein Ansatz, der sich auch in Gaspards Werken wiederfindet. So fließen Aspekte aus verschiedenen Epochen, Regionen und Stilen in die Zeichnungen und Malereien ein. Gaspards Figuren tragen die Einflüsse von Manga-Charakteren, ebenso wie von grotesken Fratzen antiker Theatermasken und mittelalterlichen Gryllen. Gleichzeitig spiegeln sie die emotionalen Ausdrucksformen zeitgenössischer Emojis und Kaomojis wider. Es gelingt ein interessantes Zusammenspiel aus Internetkultur und Kunstgeschichte.
Besonders auffallend sind auch die Einflüsse des Jugendstils, die sich in den Details der Arbeiten widerspiegeln. Kein Rand bleibt ungenutzt – filigrane, verschnörkelte Ornamente füllen jede Fläche. Ein wiederkehrendes Motiv in Gaspards Arbeiten sind kunstvoll gestaltete Tore, gezeichnet mit fließenden Linien und geschwungenen Verzierungen. Sie ermöglichen einerseits, einen Blick auf die dahinterliegende Landschaft – wie im Ölgemälde „Les vacances orange et bleu“ (2023). Andererseits reduziert die fehlende Tiefenschärfe sie zu einem dekorativen Objekt, welches uns die Sicht und den Durchgang verwehrt. Die Malerei erinnert auch an Caspar David Friedrichs Friedhofstore, welche auf verschiedenen Ebenen die Gegenwart und das Jenseits zeigen. Gaspards Tore trennen die wirkliche Welt von der imaginären und rufen eine romantisch-nostalgische Vorstellung von Unzugänglichkeit hervor. Das Bild selbst zeigt ein hellblaues Tor, das sich vor einem orangenen Feld und einem turbulenten Himmel erhebt – eine unbestimmte Kindheitserinnerung an die Landschaft rund um das Haus der Großmutter in der belgischen Provinz Flämisch-Brabant.
Mit selbstgebauten Rahmen aus Kupfer, Zinn, Glas und Bienenwachs erschafft die Künstlerperson, eine materielle Brücke zwischen Zeichnung und Raum. Durch die Verschmelzung von Kunst und Handwerk scheinen die kleinen A5-Illustrationen optisch in die Länge zu wachsen. In ihrer Bauweise gleichen die Rahmen der Tiffany-Technik. Gaspard verlötet Kupfer und Zinn, welches die Werke silbrig-schimmernd einrahmt. Gleichzeitig greifen diese symmetrisch-geschwungenen Formen die dekorativen Elemente der Illustrationen auf und schaffen so eine ästhetische Einheit. Das eingearbeitete Wachs zwischen den verschmolzenen Zinndrähten verleiht dem Ganzen einen fragilen Charakter. Diese absichtlich „unperfekte“ Arbeitsweise, wie Gaspard sie nennt, ist wichtig für die Werke. Der Anspruch liegt nicht darin Designobjekte zu erstellen, sondern den Zeichnungen eine Vulnerabilität zu verleihen und somit dem Betrachter zugänglich zu machen. Schließlich folgen die Illustrationen keinem Narrativ mit Anfang und Ende. Es bleibt jedem selbst überlassen, die eigene Geschichte zu schreiben. „It’s not telling properly any story, the narrative is fragmented, there is no beginning or end, no need for a conclusion. Some objects or characters act as if they were part of a narrative system but all the clues are going back to yourself as the only way to construct your own story out of it”, sagt Hers.
Die künstlerische Praxis beschreibt Gaspard als repetitiv und routiniert. So fließen Emotionen, aber auch Einflüsse von Musik und Literatur einem Tagebuch gleich in die Arbeit ein. Was dabei entsteht, ist eine Art persönliche Mythologie aus Formen, Symbolen und Sound. In der Kunsthochschule entwickelte Gaspard eine Methode, bei der ein Teil des Selbst isoliert und erforscht wird. Das kann ein bestimmtes Gefühl oder ein verborgener Teil der eigenen Identität sein. Dabei spielt auch die Suche nach einem inneren Zuhause und die Beziehung zum eigenen Körper eine wichtige Rolle. „I have always been interested in the Idea of extracting a part of myself to define the border of an artistic project. To explain it in a more figurative way, imagine you define a character for a story, and then instead of telling the story you create some music imprinted by the atmosphere of this story. And having multiple projects allows me to delve deeper in different sides of my identity”, so Gaspard Emma Hers.
Unter den Aliasen DJ Würm und Emma Dowdy veröffentlicht Gaspard seit 2020 die eigenen Musik-Produktionen bei verschiedenen Labels wie Terenor Record und Primordial Void. Die Tracks sind dominiert von stampfig-abgehackten, treibenden Kicks, eindringlichen Tönen und emotionalen Melodien, die zweifellos für Raves gemacht sind. Das Album „Frogs of Confusedness“ (2023) zeigt Gaspards musikalische Bandbreite die von Ambient- und Noise bis zu tanzbarer Clubmusik reicht. Der unvermeidlichen Genre-Frage weicht Gaspard aus: die eigene Musik hätte zu viele Einflüsse um sie in eine Kategorie zu stecken. Außerdem sei eine Bestimmung nach Genres uninteressant. Es gehe mehr darum, die innere Gedankenwelt mit all ihren äußeren Inspirationen in den Produktionen auszudrücken.
„But when you get asked, what do you say?”
Gaspard Emma Hers: “I don’t know. I just give random names, like I am doing black metal or gabber. Which is both not true or just a bit true. This is music that inspires me but it’s not the music I make.”
Neben den Anfängen von Industrial und den Veröffentlichungen aufstrebender junger Künstler*innen der elektronischen Szene, spricht Gaspard von Chamber Black Metal als einen der wichtigsten musikalischen Einflüsse. Es handelt sich um atmosphärischen Metal mit niedriger Tonqualität, bei dem die Schläge der Drums kaum wahrnehmbar sind und alles zu einem verwobenen Klangteppich aus verschiedenen Texturen und Ebenen verwischt. Dieses Genre wird oft von einer einzigen Person, meistens im Heimstudio produziert und ist nicht für kommerzielle Live-Shows gedacht. Als Mensch, der die Intimität der Kunst über ihre Perfektion stellt, gefällt Gaspard die Auseinandersetzung und Verbundenheit mit den eigenen Gefühlen, die bei solchen „Schlafzimmer-Produktionen“ entsteht. Der Kontrast zwischen der privaten Entstehungsweise und dem Moment, in dem es live auf einem Soundsystem gespielt wird, ist dabei besonders aufregend. Neben den Live-Shows und Ausstellungen in verschiedenen europäischen Städten arbeitet Gaspard derzeit intensiv an einem weiteren Album, das im nächsten Jahr unter dem Alias DJ Würm erscheinen wird.
— Dieser Text entstand im Rahmen des Hauptseminars „Kunstkritik: Zeitgenössische Kunst zum Sprechen bringen“ im WS 2024/25 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg.