Zoe Baranek.
Regionale 25. And if we stand still long enough.
Kunstverein Freiburg, Dreisamstr. 21, Freiburg.
Mittwoch bis Freitag 15.00 bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 5. Januar 2025.
„Sometimes I will perceive something that will just catch my eye and i become quiet obsessed with it.“
Durch die Stadt streifen, mal zu Fuß, mal mit dem Rad. Sich selbst in seinem Umfeld verorten, sich lokalisieren. Mit besonders großem Interesse an Betrachtung und besonderer Beobachtungsgabe, wie Zoe Baranek sie hat, wird jeder noch so alltägliche Spaziergang zu einem Erlebnis, aus dem wertvolle Erfahrungen für ihr Werk hervorgehen. Sie ist aufmerksam, nimmt die unsichtbaren Dinge wahr. Die Dinge, die im Treiben der Stadt untergehen, ihr hingegen aber nicht aus dem Kopf gehen wollen. Diese latente Besessenheit spiegelt sich in Wiederholungen der vermeintlich banalen Objekte wider, die für das Werk ebenso wichtig sind, wie die Übersetzung von plastischen Elementen in ihre Form- und Farbsprache, die klassische Mediengrenzen hinterfragt. Die Künstlerin konzentriert sich in ihrem Œuvre hauptsächlich auf Malerei und Plastik, sie lebt und arbeitet seit rund einem Jahr in Basel. Ihre Kunst entsteht in einem der Hafenateliers in Birsfelden an der Peripherie von Basel. Die Gemälde stapeln sich an eine Wand gelehnt, Farbeimer und Pinsel liegen verstreut neben dem Material für neue Leinwände. Der Raum ist voll und schreit förmlich danach, dass sich dort eine Person austobt. Man könnte es als kreatives Chaos beschreiben.
Zoe Baranek wurde 1997 in Rio de Janeiro geboren. Als Tochter einer kanadischen Mutter und einem Vater, der in zweiter Generation seiner geflohenen jüdisch-polnischen Familie in Brasilien lebt, wuchs sie in der riesigen Metropole auf. Mit achtzehn Jahren möchte sie nur eines: raus und weit weg in den Norden. Nach Kanada, in das Land, das sie schon aus den Sommern ihrer Jugend bei ihren Großeltern kennt. Die Glorifizierung der westlichen Staaten und das in Lateinamerika als große Errungenschaft angesehene Auslandsstudium spielen sicherlich eine große Rolle bei der Entscheidung, Brasilien zu verlassen, und tragen auch zu der romantisierten Vorstellung bei, die sie sich von Montreal und ihrem Kunststudium macht. Sie studiert an der Concordia Universität Montreal, bevor sie ihr Bachelorstudium in Lyon beendet und ihren Master schließlich an der École Nationale des Beaux-Arts de la Villa Arson in Nizza absolviert. Das Studium gibt ihr in manchen Momenten mehr, in manchen weniger. Besonders profitiert Baranek von den vielen Möglichkeiten, sich in vielen verschiedenen Medien sebst auszuprobieren:
„I tried a lot of things in art schooI, too much. It was too much experimentation, but it’s also what makes my work be my work. I was so excited, because in Brazil the schools, they just don’t have the same money, they don’t have the same infrastructure. And then you go to these schools, and you can try absolutely everything. To the part where I was trying everything, and not being able to concentrate and build something. Similar to the thing of moving places all the time, so you’re like constructing from zero and not sticking to the same things. That’s a bit why I chose painting in the end, because I felt like it was the most basic archaic thing I could do is to paint. I needed something that I could do whereever I go. I can always paint. It really shaped how I treat painting. And now with the found objects showed through paintings, I easily fell into sculptures.“
Ihre Persönlichkeit würde Baranek in Teilen als zerstreut beschreiben. Sie schildert, wie es ihr helfe, mit ihren Medien Malerei und Plastik etwas präziser zu werden. Die vielen Gedanken zu bündeln und mit der Enttäuschung umzugehen, sie in der Kunst materialisieren zu müssen, kann auch eine interessante Erfahrung sein. Ihre Malereien haben eine Wucht, mit grellen, bunten Farben.
„So I feel like painting, it is in your face, you start it, you finish it. It either defeats you or you defeat it.“
Zoe Baranek ist viel umgezogen und musste sich an neuen Orten zurechtfinden. Oft begleitete sie ein Gefühl der Einsamkeit. Die Freiheiten dieser Mobilität gehen Hand in Hand mit einem Bedürfnis, sich selber zu verorten, dem Wunsch einen Hafen der Zugehörigkeit zu haben. Ihr Herkunftsort: ein Nicht-Ort, wie sie ihn treffend beschreibt, kann aber auch ein inneres Zuhause werden, ein ganz persönlicher Ort, der identitätsstifend und bestärkend sein kann. In jedem Fall prägend für ihren Charakter und auch die Herangehensweise an ihre Arbeiten.
„I guess nowadays my humour or the way I go about things has all to do with this non-place I’m from. It can be good, it can be bad, but it’s completely mine and it’s completely personal, but of course sometimes [being diIerent] it hits you.“
Die Ambivalenz der fehlenden Zugehörigkeit ist spürbar, der innere Konflikt präsent. Zoe Baranek begleitet das absurde Gefühl, in Brasilien nicht lateinamerikanisch genug zu sein, immer „la gringa“, und dann wird ihr plötzlich in Kanada eine Persönlichkeit zugeschrieben, die sich besonders auf die brasilianische Herkunft bezieht, mit der sie vorher Identifikationsprobleme hatte.
Ein Netz aus engen Freund:innen fängt sie häufig auf. Viele Menschen in ihrem Umfeld sind ebenfalls Künstler:innen, sie sind streng miteinander, geben sich gegenseitig Rückmeldungen, aufrichtige und wichtige Denkanstöße, die laut Zoe unfassbar wichtig für ihre Arbeit sind.
„I think a lot, and I love to think about things“, sagt Baranek beiläufig in einem Nebensatz. Doch dieses Nachdenken ist alles andere als nebensächlich und hat ein großes Ausmaß, in ihren Werken öffnet sie ihre Gedankenwelten ein Stück weit. In ihrem großformatigen Gemälde „Postwonderland“ dreht sich alles um ein phantastisches Wesen, an dem der Zahn der Zeit genagt hat. Ein mechanisches Pferd, ein Kinderspielzeug, das ausgedient hat. Überschattet von leeren Bierdosen und anderem Abfall, aber dennoch exponiert erleuchtet in hellem Neonlicht, begegnet Baranek diesem Pferd. Sie sucht und findet häufig Objekte, die sie als etwas Obsoletes, Veraltetes und in den Kontexten Vergessenes, als „something that is just sad and cheap“ beschreibt. Das Pferd findet sich in einer neuen Situation wieder, neben einer großen Form, die an einen Stern erinnert. Inspiriert von einem Film, entnimmt sie das Motiv einem brutalistischen Bau und setzt es abgewandelt mit den anderen Bildelementen in Szene. Hier wird ihre künstlerische Praxis greifbar, dreidimensionale Formen, wie etwa Architektur, in Malerei zu überführen. Dinge zu transformieren, neu zu denken, durch ständige Wiederholung zu ihrer eigenen Handschrift zu machen. Sie begegnet dem Pferd auf der Straße, dem massigen Bauwerk in einem Film. Darauf folgt das Festhalten dieser Eindrücke, häufig fotografisch dokumentiert in einem Ordner auf ihrem Smartphone oder Laptop. Hin und wieder hält Baranek ihre Erfahrungen auch in Texten fest, denkt über Worte nach, wandelt Buchstaben, die dann wiederum auf die Leinwand finden. Anhand der Fotos entstehen erste Malereien, zunächst skizzenhaft, mit der Zeit werden sie immer präziser.
„Fuck curves, we want straight corners and nice edges, I was like really wanting to do this totem of these crazy eyes, of this obsessive gaze.“
Aus Epoxy und Fieberglas besteht eine Plastik, die neben dem Gemälde „Postwonderland“ als zweite Arbeit von ihr im Kunstverein Freiburg ausgestellt ist. Es ist ein langer, geometrischer Körper, durch den der Blick eines kindlichen Gesichts scheint. Augen, die in eine unbekannte Richtung starren und zugleich so wirken, als würden sie die Betrachtenden direkt ansehen. Der Blick ist verstörend betörend. Gefunden hat Baranek das Kinderspielzeug, das ihr als Vorlage für dieses Werk diente, auf einer verlassenen Wiese. Nichts als diese riesige Aladin-Figur, ähnlich verlassen und vergessen wie das Pferd. Die Arbeit, die den Titel „Discouragement“ trägt und die sie informell Aladin nennt, zeigt ihre Hinwendung zum Plastischen. Das Interesse liegt nicht fern von ihrer Methode, dreidimensionale Objekte auf eine zweidimensionale Leinwand zu übertragen. Bemerkenswert ist hier vor allem das Medium, neues Material schafft Raum für neue Möglichkeiten. „Discouragement“ markiert die Schwelle zwischen Plastik und Malerei.
Die Inspiration für ihre Werke nimmt Zoe Baranek von überall her. Das Werk kann durch die Diffusion verschiedener Einflüsse durchaus zunächst verwirren. So landet ein Globus, dem sie zunächst auf einem LKW-Aufdruck, anschließend an jeder Ecke der Stadt begegnet, in einer Müslischale. In „Fruitloops Milk“ verschwimmen die künstlichen Farbstoffe mit Milch und Weltkugel auf einer großen Leinwand. Die Farben sind kennzeichnend für das bekannte Frühstück und präzise gewählt, sie sollen sich in der Milch auflösen, mit dem Hintergrund verschmelzen. Der Globus, ein Logo auf der Autobahn. Das Logo ist ein wiederkehrendes Element in vielen ihrer Werke, es fasziniert sie: „I’m really interested in Logos. I think what’s interesting about them, that it can summarize a shape, or it can summarize an idea into a really simple shape.“
Es gibt so viele Dinge, die sie faszinieren, die sie findet und aufhebt, Fotos von ihnen macht, und Formen oder Objekte, die urplötzlich auf eine absurde Art und Weise immer wieder und unverhofft auftauchen. Das Nachdenken und die Reproduktionen setzen diese Erfahrungen in neue Kontexte und geben dem vermeintlich banalen Fund, der vermeintlich banalen Beobachtung eine tiefere Bedeutung. Zoe Baranrek sammelt Erfahrungen. Indem sie sich immer intensiver mit ihnen beschäftigt und ihnen oft mit humorvollem Unterton Hingabe und Zuwendung zukommen lässt, macht sie sich diese durch ihre künstlerische Arbeit zu eigen. So wird das eigene Werk zum persönlichen Archiv.
— Dieser Text entstand im Rahmen des Hauptseminars „Kunstkritik: Zeitgenössische Kunst zum Sprechen bringen“ im WS 2024/25 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg.