Christina Sperling

Christina Sperling, Ohne Titel, 2021/2024, Ausstellungsansicht in der Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg (die Zaunarbeit im Vordergrund, die an der Wand lehnende Lochgitterarbeit sowie die Betonarbeit an der rechten Wand sind von Paul Ahl), Courtesy the artist, Foto © Christina Sperling
Porträt
16. Dezember 2024
Text: Signe Glauninger

Christina Sperling.
Regionale 25.
Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg, Escholzstr. 77, Freiburg.
Donnerstag bis Freitag 17.00 bis 20.00 Uhr, Samstag 14.00 bis 20.00 Uhr, Sonntag 14.00 bis 18.00 Uhr.
29. November 2024 bis 12. Januar 2025.
www.gegenwartskunst-freiburg.de

Christina Sperling.
Pförtnerhaus, Fabrikstr. 17, Freiburg.
8. März bis 6. April 2025
Vernissage am Freitag, 8. März, anschließend geöffnet nach Vereinbarung.
www.instagram.com/pfoertnerhaus.freiburg

www.christinasperling.com

Christina Sperling, Ohne Titel, 2021/2024, Ausstellungsansicht in der Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg, Courtesy the artist, Foto © Christina Sperling
Christina Sperling, Ohne Titel, 2024, Ausstellungsansicht in der Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg, Courtesy the artist, Foto © Christina Sperling
Christina Sperling, Ohne Titel, 2024, Ausstellungsansicht in der Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg, Courtesy the artist, Foto © Christina Sperling

Von Fotos, Kleidungsstücken, Seifenresten bis Verpackungen ist bei Christina Sperling (*1989) alles mit dabei. Die Künstlerin, die seit 2022 auch Co-Kuratorin des Freiburger Offspace Kaiserwache ist, hat sich den Gegenständen verschrieben. Sie sammelt Dinge und führt sie in neue Kontexte über. Zunächst einmal könnten die Arrangements Verwirrung auslösen. Denn, ob knallige oder dezente Farben, Plastik, Metall oder Glas, was verbindet sie?

Bei der Regionale 25 ist Christina Sperling mit einem Werk aus dem Jahr 2021 und einer neuen Installation in der Galerie für Gegenwartskunst im E-Werk Freiburg vertreten. Nebeneinander aufgehängt oder geordnet auf dem Boden arrangiert bilden sie eine bunte Mischung. Die Künstlerin befasst sich mit der Wahrnehmung und verwendet Materielles, um Immaterielles zu behandeln. Die Objekte, die Sperling präsentiert, sind nicht willkürlich gewählt, sondern haben eine besondere Relation zum Menschen. Alles, was sie miteinbezieht, ist banal und meist für den persönlichen Gebrauch hergestellt. Kurzerhand jenes, was uns im Leben begleitet. Nichts steht dabei wirklich für sich allein, sondern wird kollektiv betrachtet. So wild das Durcheinander aus Materialien, Farben und Formen erscheint, bald fallen Parallelen und Kontraste auf. Auch die Abstände zwischen Ihnen variieren, wodurch sich Untergruppen und Paare bilden. Von gleicher Farbe oder von Produkten unterschiedlicher Größen.

In ihrer Installation verteilt Sperling ihre Materialien fein säuberlich im Raum. Jedes Teil scheint seinen Platz zu haben und wird vereinzelt nochmals auf einem flachen, metallenen Podest hervorgehoben, während der Rest schlicht auf dem Boden liegt. Eine ähnlich angelegte Ausstellung entstand im Jahr 2021 im T66 Kulturwerk unter dem Titel „Parfum“mit dem Blick auf das Flüchtige. Beide haben durch die Gegenstände völlig verschiedene Stimmungen. Jedoch ändert sich der eigene Blickwinkel stetig. Mit wechselndem Standpunkt verschieben sich die Zusammenhänge der Einzelteile. Vielleicht ergeben sich Bezüge zwischen räumlich entfernten Objekten. So hängt ein Porzellanpferd schräg an der Wand, während ein größeres Pferd neben dem Überrest einer Fußorthese liegt. Selbst wenn die Anordnung aussieht, als sei alles zufällig aufgehoben und hier abgelegt, findet sich ein Muster. Es wird zu einem großen Bild, das eine eigene Ästhetik konstruiert.

Neben glänzendem Porzellan und Perlenohrringen liegen ein Staubstreifen oder zerrissene Buchseiten. Den Staubstreifen zum Beispiel hat sie bei Renovierungsarbeiten entdeckt. Auf den Rest der Beinschiene ist Sperling wiederum in Venedig gestoßen, wo sie für die Biennale hingereist war. Was sie aufnimmt, wird nicht von ihr verändert. Wie der Staub bricht auch ein aufgeschütteter Erdhaufen in der Installation im E-Werk die Serie des Artifiziellen. Die Erde steht hier im Gegensatz zu den von Menschen geschaffenen Objekten und lässt über ihre Endlichkeit nachdenken.

Ein Aschenbecher in „Parfum“ beherbergt nach wie vor zwei Zigarettenstummel und der Boden des gläsernen Behälters ist mit Asche bedeckt. Es ist, als hätte sein Besitzer oder seine Besitzerin ihn nur kurz verlassen und müsste gleich wieder zurück sein, um eine neue Zigarette zu rauchen. Asche und Stummel offenbaren die Vergangenheit des Bechers. Auf welche Art, mit ihm umgegangen worden ist, wie die Zigarette ausgedrückt wurde und sich die Asche verteilt hat. Jedes Stück gibt mit seinen Gebrauchsspuren kleine Hinweise und Auskunft über die Gesellschaft, in der es zirkuliert.

Mit Spuren setzt sich Sperling auch fotografisch auseinander. Auf Schwarz-Weiß-Aufnahmen, welche 2021 entstanden sind und Ausschnitte von Matratzen und Schubladen wiedergaben, ist nicht nur die Struktur des eigentlichen Materials, sondern jeder Fleck, Riss und jede Schramme sichtbar. Die nach und nach entstandenen Kratzer zeugen davon, dass und wie die Dinge benutzt wurden. Mit den detaillierten Nahaufnahmen treten die entstandenen Spuren deutlicher hervor und werden durch die Zweifarbigkeit akzentuiert. Im Alltag würden die kleinen Kratzer den meisten Menschen vermutlich gar nicht weiter auffallen.

Vor ihrem Kunststudium in Freiburg schloss Sperling eine Ausbildung zur Fotografin ab und erweitert ihr Verständnis von Fotografie nun in ihrer aktuellen künstlerischen Praxis. Auf ihren Bildern von Flächen scheint das abgelichtete Material selbst eine Art fotografisches Medium darzustellen, worauf sich Handlungen unter Bedingungen von Zeit verewigten. Oder es sind Bilder der Gegenstände allein – nüchtern, auf einem weißen Hintergrund mit heller Beleuchtung, die diese absolut neutral und auf das Wesentliche reduziert zeigen. Die abgebildeten Objekte finden sich wiederum in Installationen wieder. Inspiriert von philosophischer Literatur – etwa von Roland Barthes‘ Essay „Die helle Kammer“, in dem der Autor untersucht, warum Fotografien die Betrachtenden faszinieren können und welche Bedeutung das Medium dabei einnimmt –, denkt Sperling auch über die Rolle der Gegenstände als Fotografien nach. Über ihre bloße materielle Präsenz hinaus können Objekte Träger von Assoziationen und Stimmungen sein, die sowohl auf die Gegenwart als auch auf die Vergangenheit gleichzeitig anspielen – eine Eigenschaft, die sie mit dem Wesen der Fotografie in Parallele stellt.

Unmittelbar vor der diesjährigen Regionale stellte Christina Sperling im Jos Fritz Café in Freiburg aus. Über den Köpfen der Gäste entlang der Wand hing etwa ein Poster des Himmels, die Fotografie eines Mannes oder eine pinkfarbene aufblasbare Plastikfigur, die so geknickt war, dass es kaum möglich war, ihre Form zu erraten. Regelmäßig wechselte das konzentrierte Arrangement. Neues wurde hinzugefügt, Plätze vertauscht oder Früheres heruntergenommen. In Bezug auf Wahrnehmungsprozesse, schuf die Künstlerin hier eine weitere Ebene, um konkreter über deren Wechselwirkungen nachzudenken.

Christina Sperling lud das Publikum dazu ein, bei dem Prozess des Kombinierens und Komponierens dabei zu sein und das ständig wechselnde Ambiente zu begleiten. Ganz anders als in einem klassischen Ausstellungsraum bot die gastronomische Umgebung einen vollkommen anderen Eindruck. Der offene, belebte Raum mit den kommenden und gehenden BesucherInnen, der von sich aus bewegt ist, integriert die sich verändernde Konstruktion ideal mit ein. Wieder geht es im Wesentlichen um die Wahrnehmung. Sie ist subjektiv, von den eigenen Erfahrungen geprägt, was gerade Artifizielles betrifft, da wir davon permanent umgeben sind. Mit ihnen sind eine Vielzahl an Assoziationen verbunden und sie sagen viel mehr über unsere Kultur aus. Sperling erforscht auch, inwiefern sich die Natur und deren Umwelt in diesem Sinne in der Wahrnehmung unterscheidet.

Über die Gegenstände der Ausstellung schrieb sie: „Wäre es dann nicht auch interessant zu hinterfragen, ob ihre ästhetische Wirkung über die formalen Merkmale hinausgeht und ob wir sie als komplexer und vielschichtiger empfinden?“[1] Ihre Arbeiten sind ein Angebot, sich mit Stimmungen zu befassen, gegebenenfalls über die eigene Wahrnehmung herauszuschauen. Die physischen Dinge einfach mal auf sich wirken zu lassen und zu ergründen, welche persönlichen Verknüpfungen vorhanden sind. Im Jos Fritz Café ergab sich die Möglichkeit, zu erproben, ob sich Stimmungen über die Dauer der Veranstaltung und der Transformationen hinweg verschieben und sich neue Assoziationen bilden.

Ihre Kompositionen kreieren eine Atmosphäre und interagieren miteinander, wobei die Assoziationen, mit denen die einzelnen Stücke verbunden werden, als Elemente hierfür dienen. Spielerisch werden kontrastierende Impressionen zusammengelegt oder gleichartige Wirklichkeiten verbunden. Daneben ist es genauso reizvoll, eine unvoreingenommene Perspektive einzunehmen, in der die Funktionen und der Kontext der Alltagsgegenstände verlernt werden. Zu dekonstruieren und kritisch zu hinterfragen. Etwa, wie merkwürdig einige Dekorationsartikel doch sein können. Weshalb der Wert der Dinge so unterschiedlich ist. – Bei Christina Sperling wirken sie fast ebenbürtig. Es gibt keine Distinktion zwischen dem, was wir üblicherweise wegwerfen, wie eine benutzte Serviette oder Dinge, die Bedeutsamkeit suggerieren, wie Pokale.

Sperling schafft eine Momentaufnahme der Gesellschaft der Gegenwart. Sie vergleicht ihre Tätigkeit mit der Archäologie, und dem Finden, Sammeln, Ordnen und Aufbewahren von Fundstücken, die alle ein bisschen über die Menschen und ihr Leben verraten. Ohne den heutigen Bezug würden ihre Funde irritieren und oft überhaupt keinen Sinn ergeben. Nicht nur der Prozess erinnert sie daran, sondern auch der Aufbau kommt der säuberlichen Anordnung von Ausgrabungen nahe, die auf dem Boden sortiert werden. Aus dem Kontext gerissen präsentiert sie die Objekte wie seltene Schätze und verknüpft sie miteinander.


[1] Text der Künstlerin aus der Ausstellung Ohne Titel 2024 im Jos Fritz Café

Dieser Text entstand im Rahmen des Hauptseminars „Kunstkritik: Zeitgenössische Kunst zum Sprechen bringen“ im WS 2024/25 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg.