Les Phalènes: Wie die Motten im Licht

Les Phalenes
Ernesto Satori, Peintures-planètes, 2024, Installationsansicht CRAC Altkirch, Courtesy the artist, Foto: Aurélien Mole
Review > Altkirch > CRAC Alsace
13. Dezember 2024
Text: Ilja Zaharov

Les Phalènes.
CRAC Alsace, 18, rue du Château, Altkirch.
Dienstag bis Sonntag 14.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 12.Januar 2025.
www.cracalsace.com

Les Phalenes
Vasilis Papageorgiou, Installationsansicht CRAC Altkirch, 2024, Courtesy the artist
Les Phalenes
Io Burgard, The Moth, 2024, Installationsansicht CRAC Altkirch, Courtesy the artist

Die Rezeption von Gruppenschauen ist oft unmittelbar von der Suche nach Verbindungen zwischen den gezeigten Arbeiten geprägt. Wir werden von klaren Zusammenhängen angezogen wie die Motten vom Licht. Natürlich hat das seine Berechtigung. Könnte uns dabei aber nicht etwas entgehen, das von der thematischen Einheitlichkeit überdeckt wird? Und mit uns meine ich nicht nur das Publikum, sondern auch die Kurator*innen und Ausstellenden, die durch unerwartete Zwiegespräche und fruchtbare Unversöhnlichkeiten bereichert werden könnten. „Les Phalènes“, zu deutsch: „Die Motten“ oder „Die Falter“, kuratiert von Richard Neyroud im CRAC Alsace in Altkirch, widmet sich bewusst einem alternativen Ausstellungsmodus, der die Vielschichtigkeit individueller Arbeiten hervorhebt und poetische Momente der freien Assoziation begünstigt.

Die Werke von acht „Mid-Career-Artists“ sind hier weniger einem festen Thema untergeordnet als von Strömungen getragen, die in dieser Schau zusammenfliessen. Um diesen Ansatz zu verstehen, lohnt es sich, bereits im Rahmenprogramm vor der Ausstellungseröffnung anzusetzen, mit der Lesung von Virginia Woolfs titelgebenden Essay „Der Tod des Falters“ von 1940 im Freien an den Nérac-Weihern. Hier finden diese Strömungen ihren Antrieb: in der Natur, aber auch bei allen Versammelten, die ihre Stimmen erklingen lassen, eine Polyphonie, die sich bildlich in der Ausstellung durch die Künstler*innen fortsetzt und Woolfs experimentellen Roman „Die Wellen“ von 1931 mitschwingen lässt – ein Werk, das ursprünglich unter dem Arbeitstitel „Die Falter“ konzipiert wurde. Darin wechseln sich die inneren Monologe von sechs Charakteren sporadisch mit Naturbeschreibungen einer Küstenlandschaft ab. Die mäandernden Gedankenströme der Figuren und die Bewegung des Wassers verschmelzen dabei zu einem Gesamtbild. Man kann nicht umhin, auch Woolf als Mitwirkende zu verstehen.

So manifestiert sich ihr Einfluss etwa in der eigens für die Ausstellung entstandenen Gipsskulptur „The Moth“ von Io Burgard (*1987). Die insektoide Figur verweilt in einer Nische an der Wand und bezieht sich sichtlich auf Woolfs Essay. In diesem beobachtet die Autorin einen Falter, für den ein Fenster zum tödlichen Verhängnis wird. Das kleine Bündel Energie, das unermüdlich versucht, der Gleichgültigkeit der Welt zu trotzen, konfrontiert Woolf mit der Härte des Lebens und der Unvermeidlichkeit des Todes, lässt zugleich aber die Erhabenheit dieser eng verbundenen Zustände spüren.

Vergänglichkeit ist auch eine Strömung, auf der sich Vasilis Papageorgiou (*1991) treiben lässt. Aquarelle, die direkt auf die Wand gemalt sind, zeigen eine griechische Tageszeitung mit einem Zitat eines populären Astronomiepädagogen: „Wir sind alle Sternenstaub und werden eines Tages zu den Sternen zurückkehren.“ Die drei Wandbilder heben sich durch bunte Stranddarstellungen hervor, im Kontrast zur Zeitung in Schwarz-weiß. Die Motive wählte der Künstler nach einer kurzen Internetrecherche der schönsten griechischen Strände aus. Papageorgiou verwandelt die kapitalistisch erschlossenen Strände Griechenlands zu einem Vanitas-Symbol – Urlaub im Sternenstaub. Klar ist, wer seine Umwelt rücksichtslos ausquetscht, saftet irgendwann auch selbst. Die heutige Erschöpfung natürlicher Ressourcen scheint mit der menschlichen zu korrelieren. Der gesellschaftliche Drang nach Erholung muss mit der Pflege der Umwelt einhergehen.

Gedanken über die Erde löst womöglich auch die Installation von Ernesto Sartori (*1982) aus. Die Oberflächen, die aus der Ferne wie Marmor wirken, entpuppen sich als rhythmische Mal-Gesten. Horizontal auf Holzgestellen installiert, erinnern diese „Peintures-planètes“ an modernistische Beistelltische. Angeregt von Isaac Asimovs „Foundation-Zyklus“, in dem der Planet Trantor von einer einzigen riesigen Stadt bedeckt ist, evozieren diese Werke Stadtlandschaften aus der Vogelperspektive. Unwillkürlich vergleicht man sie mit unserem Planeten und fragt sich: Was würden Außerirdische über unsere Erde denken, wenn sie näher herantreten würden?