Sommer der Künste. Villa Massimo zu Gast in Stuttgart: Privilegiert auf Zeit

Villa Massimo
Liza Dieckwisch, Imitation of Fruits in General, 2024, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, Foto: Gerald Ulmann, Stuttgart
Review > Stuttgart > Staatsgalerie Stuttgart
21. Oktober 2024
Text: Christian Gampert

Sommer der Künste. Villa Massimo zu Gast in Stuttgart.
Verschiedene Orte, unter anderem Staatsgalerie und Kunstmuseum Stuttgart.
Bis 26. Januar 2025.
www.villamassimo.de

Villa Massimo
Stefan Vogel, In dieser Situation spüre ich in unserer Beziehung Risse, 2024, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, Foto: Gerald Ulmann, Stuttgart

Was haben die Villa-Massimo-Preisträgerinnen und -Preisträger während ihrer zehnmonatigen Stipendien in Rom produziert? In Stuttgart kann man das jetzt anschauen. Die ganze Stadt wird bespielt, vom Literaturhaus über das Weißenhofmuseum, das Theaterhaus und das Kunstmuseum bis zur Staatsgalerie und Orten im öffentlichen Raum. Im Literaturhaus Stuttgart etwa hängen grafische Arbeiten von Arne Rautenberg (*1967) an der Wand, variierte Zeichensprache, visuelle Poesie. Eigentlich ist Rautenberg Dichter, nicht gerade der einträglichste Job. Für ihn war das Villa-Massimo-Stipendium ein Glücksfall: ein Jahr tun, was man will. Rautenberg hat in der Zeit in Rom allen Ernstes vier Gedichtbände geschrieben.

Nicht jeder ist in der Villa Massimo so produktiv. Aber im sehr engen, durchaus konkurrenzträchtigen Nebeneinander komplexer Disziplinen muss sich heute jede Stipendiatin und jeder Stipendiat mit Werken ausweisen. Das Gastspiel der Villa Massimo in Stuttgart ist also durchaus eine Art Leistungsschau etablierter Kunstschaffender – und der Versuch, Rechenschaft abzulegen über die in Rom geleis­tete Arbeit. Gibt es einen gemeinsamen Nenner? Von der Malerei bis zur E-Musik beschäftigt man sich im weitesten Sinne mit der Frage, wie Zukunft überhaupt noch gedacht werden kann angesichts von Öko-Krise und weltweiten sozialen Verteilungskämpfen. Manche Arbeiten haben praktischen, sogar klimagerechten Nutzwert. Zum Beispiel die modulare Holzkonstruktion, die die Architektin Susanne Brorson (*1979) mit regionalen Pflanzen und Gräsern verkleidet – in Rom nutzte sie Gräser aus dem Garten der Villa Massimo als Sonnenschutz, in Stuttgart Pflanzen aus der Nähe der Weissenhof-Werkstatt zur Fassaden-Verkleidung.

Im Literaturhaus kleben anarchisch bunte, nach unten verlaufende Silikon-Spuren an den Wänden, die wir dann auch im Stuttgarter Kunstmuseum wiederfinden. Die Villa-Massimo-Stipendiatin Liza Dieckwisch (*1989) schließt mit diesen Drippings an die gestische Malerei von Jackson Pollock an, nur dass sie eben keine Leinwand mehr braucht. Weitere Wandarbeiten von ihr spielen mit den Farben von Lebensmitteln und hängen sinnigerweise neben den Bildern verwesender Stoffe von Dieter Roth. Auf die Spuren von Goethe begibt sich – ebenfalls im Kunstmuseum – die aus Sarajewo stammende Danica Dakic (*1962). Ihr Video verbindet Weimar mit Italien, mit dem Strand von Ostia. Dort liegt, vor einem nachgebildeten Paravent mit Vulkanausbruch aus dem Puppentheater des Goethe-Sohns August von Goethe, ein kleines Mädchen. Und man denkt unwillkürlich zunächst an das Bild des auf der Flucht ertrunkenen syrischen Kindes Alan Kurdi. Aber das Kind erhebt sich, und in der Folgesequenz sehen wir ein weiteres Mädchen, das sich vorsichtig durch die leergeräumte Bibliothek des Weimarer Goethe-Hauses tastet. Es geht also vor allem um Erinnerung – und darum, dass diese sehr alten Orte junge Menschen brauchen, die die Geschichte weiterschreiben.

Die Stuttgarter Staatsgalerie wiederum hat die Arbeiten der Villa-Massimo-Künstlerinnen und -Künstler thematisch in die Neupräsentation ihrer Sammlung eingebettet. Man geht durch einen Raum, der sich vor allem mit Körpererfahrung, Bedrohung und Trauer beschäftigt – und landet bei Björn Melhus (*1966), der sich von Max Beckmanns Apokalypse-Grafiken zu einem Videospiel-Diptychon anregen ließ: Weltuntergang in Zeiten von Handy-Videos und Elon Musks Weltraumprojekten. Auch die Künstlerin Yael Bartana (*1970) beschäftigt sich mit Raumschiffen, allerdings zur „Zukunftsbewältigung“ – ihr als utopischer Ort gedachter Weltraum war schon auf der Venedig-Biennale zu sehen. Zudem zeigt sie in Stuttgart ein programmiertes Klavier, das angeblich die Leiden von Max Ernsts gefolterter Heiliger Cäcilie besingt, und surreal tanzende Tiermasken. Viel instruktiver als das ist Björn Melhus kurzer, mit Zeitraffer arbeitender Film über das Leben in der Villa Massimo: umgeben von einem idyllischen Garten mit Steineichen sitzen die Künstlerinnen und Künstler in ihren Ateliers und arbeiten. Sie sind privilegiert – auf Zeit. Zwischendrin findet viel Debatte und, ja, gesellschaftliches Leben statt. Eigentlich möchte man gern hinfahren.