Margret Eicher, Digital Works.
ZKM, Lorenzstr. 19, Karlsruhe.
Mittwoch bis Freitag 10.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 10. November 2024.
www.zkm.de
Gerahmt von griechischer Säulenarchitektur räkelt sich ein langhaariger Adonis in Jeans etwas gelangweilt und noch unentschlossen, wer denn die Schönste sei, zwischen den Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite. Statt antiker Vorbilder zieren nun mit Lady Gaga, Madonna und Angelina Jolie als Lara Croft Karyatiden der zeitgenössischen Popkultur die Szene. Der verfremdete Paris-Mythos wird in Margret Eichers (*1955) Adaption „Das Urteil des Paris 2“ (2002/2012) nicht illustriert, sondern dient als Vorlage für das alte Spiel zwischen den Geschlechtern. Die antike Szene wurde in den Berliner Club Tacheles versetzt, in den Neunzigern programmatisch der Ort für Subkultur und die Aufhebung gesellschaftlicher Konventionen.
Nach historischem Vorbild lässt die Berliner Künstlerin Margret Eicher ihre „Medientapisserien“ in einem traditionellen Jacquard-Verfahren, einem frühen industriellen Verfahren der Textilproduktion und zudem strukturelle Grundlage für heutige Softwareentwicklungen, in Flandern weben. Auf 15 großen Wandteppichen, die durch den Bildaufbau mit zentraler Szene, umrahmt von ornamentalen Bordüren und durch ihre verblasste Farbigkeit auf historische Bildteppiche als Vorbilder verweisen, zeigt diese Ausstellung Interpretationen mystisch-ikonischer Szenen aus Literatur und Kunstgeschichte – darunter etwa „Posthuman Dance of Death“ in Anspielung auf die Balkonszene aus Shakespeares „Romeo und Julia“ – sowie komplexe hybridisiert-digitale Pop-Welten mit virtuellen Persönlichkeiten aus Film, Werbung, Science-Fiction und Computerspielen.
Eichers Kunst der Übertragung im Spannungsverhältnis zwischen dem höfischen Medium des Bildteppichs und den digital generierten Motivcollagen aus Versatzstücken zeitgenössischer Ikonografie der Game- und Digitalkultur visualisiert sich auch im Hauptwerk der Ausstellung, dem 30 Meter langen Bildteppich „Battle:Reloaded“ (2022), bei dem Eicher auf den berühmten „Teppich von Bayeux“ aus dem 11. Jahrhundert zurückgegriffen hat. In ihren medienreflexiven Arbeiten versetzt sie die zeitaktuellen Figuren in den hier aneinander gereihten Szenen – unter ihnen Julian Assange, Lara Croft, Lady Gaga, die Ninja Turtles und Legosoldaten – in ein neues, auf gesellschaftliche Aktualität bezogenes Eigenleben. Durch die künstlerische Umsetzung in Grisaille-Technik, also die ausschließliche Verwendung von Grautönen, scheint sie eine objektivierende Rezeption einzufordern – in jedem Fall ist die Erschaffung anderer Welten ein Weg, um der wahrgenommenen Realität zu entfliehen, sie neu zu gestalten oder zu hinterfragen.