Julie Douce, Une rétrospective.
Musée Tomi Ungerer – Centre international de l’illustration,2, avenue de la Marseillaise, Strasbourg.
Dienstag bis Freitag 10.00 bis 13.00 Uhr, 14.00 bis 18.00 Uhr, Samstag und Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 3. November 2024.
www.musees.strasbourg.eu
Wenn mittlerweile so gut wie alles comicwürdig erscheint, hat das auch mit dem Werk von Julie Doucet (*1965) zu tun. Ende der 1980er Jahre, als die Kanadierin anfing, Geschichten zu zeichnen, gab es Superhelden und es gab das von Art Spiegelman und Françoise Mouly gegründete RAW Magazin. Doucet tendierte zu RAW. Wobei nicht immer ganz klar ist, ob ihr Alter Ego nicht tatsächlich auch Superkräfte braucht, um den Alltag zu bestehen. Denn der ist geprägt durch eine prekäre finanzielle Lage, die sich in chaotische Wohnsituationen fortsetzt, immer mal wieder auftretende epileptische Anfälle und Partnern, die all dies auszunützen wissen, um zu dominieren. Manchmal jedoch, wenn wieder einmal kein Tampon parat ist und nur der Gang zur nächsten Apotheke bleibt, während die Protagonistin das Gefühl hat, ihr Menstruationsblut verbreite sich einfach überall, dann wird aus der Heldin ein Monster.
Und überhaupt hatte Julie Doucet ihr Fanzine, das sie auf Bestellung mit der Post vertrieb, programmatisch „Dirty Plotte“ genannt. Plotte ist ein derber Ausdruck aus dem kanadischen Slang für Vulva und Frau. Doucet spiegelt die männliche Hegemonie in ihren feministischen Comicstrips und diese borden geradezu über von dem, was ihre Protagonistin so macht: menstruieren, masturbieren, Ärger haben mit Liebhabern, aber auch zeichnen und erzählen und an Orten wie New York und Berlin neu anfangen und sich behaupten. Und Doucet ist ziemlich erfolgreich damit, bereits 1990 erscheinen ihre Arbeiten in einem Verlag in Montréal. Dennoch hört sie Anfang der 2000er Jahre mit dem Comiczeichnen auf. Sie ist erschöpft, von dem männlich geprägten Betrieb, aber vielleicht auch davon, ihre Autobiografie als Stoff auszubeuten.
In der Retrospektive, die das Musée Tomi Ungerer – Centre international de l’illustration in Strasbourg der kanadischen Künstlerin widmet, lässt sich dies alles nachverfolgen. Oft sind es nur wenige Minuten aus dem Leben ihrer Protagonistin, die Doucet auf den Panels einer Seite erzählt. Ihr Strich ist dabei kontrastreich, alles ist in Schwarzweiß gehalten, detailliert und unverblümt und auch in ihrer Überfülle sieht das immer noch sehr nach Punk aus. In „My New York Diary“ erzählt Doucet von der Eifersucht des Freundes auf ihren zunehmenden Erfolg und wie dieser versucht, sie klein und fern von wichtigen Verlagen und der Szene zu halten. In Strasbourg kann man ihre Geschichten auf Französisch und Englisch lesen und da sie ein paar Jahre in Berlin verbracht hat, gibt es auch ein paar Arbeiten auf Deutsch. Etwa das sehr bunte Cover einer Ausgabe des zitty-Stadtmagazins, das von einer weiblichen Figur auf sehr dünnen kurzen Beinen geprägt ist, während das geradezu überdreht strahlende Gesicht einer jungen Frau mit Zöpfen und zu kleiner Mütze ein bisschen an die Köpfe von rheinländischen Karnevalswagen erinnert. In Deutschland entsteht auch „Mein allerliebstes ABC“, bei dem sich ihr Bildwitz mit einer sehr spielerischen Annäherung an eine neue Sprache verbindet. Sie führt Tagebücher, in die sie etwa vermerkt: „Künstler sind schnell gewaschen und schnell wieder trocken.“
In diesen späteren neuen Arbeiten von Julie Doucet wird deutlich, wie sehr sie vom Dadaismus beeinflusst ist. Sie experimentiert mit Sprache schneidet Worte und Buchstaben wegen der aufwändigeren Typografie vor allem aus älteren Zeitungen und Magazinen heraus und fügt diese zu lyrischen Gebilden. Und während sich die Panels zu einer Seite zusammensetzen, die so energetisch wie eine Übersprungshandlung ist, reißt Doucet diese Bildbegrenzungen später ein. Jedes Blatt ist nun ein All Over. In den collagierten Bildgedichten springen einen die größeren Lettern an, kleinere weichen in den Hintergrund, so dass eine gewisse Tiefe entsteht. Nicht grundlos zählt Doucet die Fluxus-Bewegung zu einer ihrer Inspirationsquellen.