I Feel The Earth Whisper.
Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8, Baden-Baden.
Dienstag bis Sonntag 11.oo bis 18.00 Uhr.
Bis 3. November 2024
Die Erde ist heute alles andere als still. Wenige Tage nach der Eröffnung der Ausstellung „I Feel The Earth Whisper“ im Museum Frieder Burda in Baden-Baden fällt der Regen in dicken Tropfen so laut vom Himmel, dass er den weitläufigen Landschaftspark entlang der Lichentaler Allee in ein schweres, monotones Rauschen hüllt. Vor 20 Jahren hat der 2019 verstorbene Unternehmer und Kunstsammler Burda hier sein Privatmuseum eröffnet, in einem eleganten Bau des US-Architekten Richard Meier mit viel Glas und offenen Stockwerken, bestückt mit Klassikern der Moderne von Kirchner bis Picasso sowie mit repräsentativen Werkgruppen von Richter Polke Baselitz und anderen aus der Generation Malerfürst. Dazu gesellte sich ein ganzes Arsenal von Skulpturen, von Hans Arp bis Bernard Venet, die meisten mit klarem Drang zur frischen Luft, raus in den Garten, wo sie sich nun als markante Solitäre zwischen den über 300 heimischen und exotischen Baumarten verteilen, die Johann Michael Zeyher als Gartenplaner der Kurstadt seit 1839 entlang der Oos hatte anpflanzen lassen. Tatsächlich glaubt man an diesen Skulpturen einen Anflug von Stolz und Würde zu erkennen, wenn man sie vom Innern des teilverglasten Museumsbaus aus dabei beobachtet, wie sie da draußen im Park dem Wetter trotzen.
Für Kuratorin und Sammlungsleiterin Patricia Kamp, Stieftochter des Museumsgründers, war dieses Zusammenspiel von Kunst und domestizierter Natur nun der Ausgangspunkt für eine Jubiläumsschau, die sich der zunehmenden Entfremdung des Menschen von der Natur widmet. Gemessen an der Brisanz des Themas und den längst weltweit spürbaren Folgen des menschlichen Raubbaus an den Grundlagen des Lebens gehen Kamp und Co-Kurator Jérôme Sans die Sache auffallend entspannt an. Statt um die Macht des Faktischen, die weitsichtiges politisches Handeln fordern würde, geht es hier um die Suche nach dem verlorenen Naturgefühl, um Spiritualität, Heilung und Reinigung, also um Dinge, denen die Kurstadt Baden-Baden durchaus ihre Anziehungskraft und ihr Vermögen verdankt.
Um dem Flüstern der Erde Gehör zu verschaffen, haben Kamp und Sans vier Kunstschaffende eingeladen, die je eine raumgreifende Installation realisieren durften. So macht Ernesto Neto gleich im großen Erdgeschosssaal Ernst mit der künstlerischen Wiederverstrickung von Mensch und Natur. „Blue Tree“ ist eine dieser aus Baumwollgarn, zerschnittenen T-Shirts und bunten Stoffstreifen geknüpften Netzstrukturen, für die der Brasilianer berühmt ist. Stabilisiert durch sackartige Anker, die er mit Steinen, Pflanzen oder wohlriechenden Gewürzen füllt, wölbt sie sich wie ein Dach aus Lianen über einen flauschigen Teppich. Darauf liegen Musikinstrumente bereit, mit denen sich die Besuchenden eingrooven können in Netos Utopie von Vielfalt und kultureller Integration, inspiriert von der Weltsicht der indigenen Huin Kuin aus dem Amazonasgebiet, mit denen er für seinen multisensorischen XXL-Wohlfühlraum zusammenarbeitete.
„Das ist das Zentrale dieser Ausstellung“, sagt Kamp. „Es geht um die Frage: Was fühlen wir? Wie hören wir auf das, was wir wahrnehmen?“ Die darin anklingende Hoffnung, dass die Rettung der Welt möglich sei durch Einfühlung, bringt exemplarisch Bianca Bondi mit ihrer nachgebauten Idylle eines Zauberwaldes zum Ausdruck, mit üppigen Mooskissen auf Museumsparkett, romantischen Landschaftstapeten, mit Hortensienblüten gespickten Wandteppichen und schweren Schalen voller Heilwasser aus den nahen Thermen. Die weiße Südafrikanerin, die sich selbst als Schamanin sieht, probt hier in einer wahren Ausstattungsorgie die Verwandlung einer imaginierten Wildnis zur Salonkulisse, um den Hexen und Geistern, die früher als Moderatoren zwischen Natur und Zivilisation fungierten, in der Gegenwart des Museums einen angemessen Fluchtraum zu bieten.
Auch der New Yorker Sam Falls setzt auf die Kraft der Transformation, und das in mehrfacher Hinsicht. Vor dem Saal, in dem er seine Bilder zeigt, hängt ein schwerer Vorhang aus an Schnüren aufgefädelten Edelsteinen, der laut Falls die Menschen beim bewussten Durchschreiten daran erinnern soll, dass Achtsamkeit der erste Schritt zur Heilung ist. Dahinter blühen auf großformatigen Fotogrammen riesige Blumenwiesen in kräftigen Farben, deren Lichtspuren der Künstler an unterschiedlichen Orten in den USA und im Schwarzwald gesichert hat. Dass sich die atemberaubende Schönheit dieser Bilder ausgerechnet ihrem dokumentarischen Charakter verdankt, macht sie zu interessanten Außenseitern in dieser Ausstellung „an der Schnittstelle von Kunst, Ökologie und Wellbeing“, wie es im Pressetext heißt.
Der in Berlin lebende Schweizer Julian Charrière wirkt da mit seinen investigativen Arbeiten über die verheerenden Folgen der Palmölproduktion in Indonesien geradezu wie ein ungebetener Gast. Was nicht heißt, dass man sich in seiner Kunst nicht wohlfühlen darf. Im Gegenteil. Für die Videoinstallation „Calls for Action“ hat Charrière mitten im Regenwald von Ecuador zwei Kameras installiert, die das Leben und Wuchern im Dschungel nun live und ungeschnitten Tag und Nacht im Maßstab 1:1 ins Museum Frieder Burda übertragen – inklusive zeitversetztem Sonnenaufgang. Das ist toll und aufregend und zugleich völlig unaufgeregt. Fast ein bischen wie die Natur.