Lena Grossmann, Mimetic Bodies: Dem kollektiven Körperwissen auf der Spur

Lena Grossmann, MIMETIC BODIES, Performance, Kunstverein Freiburg, 2024, © Lena Grossmann / VG Bild-Kunst, Foto: Marc Doradzillo
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20. Februar 2024
Text: Dietrich Roeschmann

Lena Grossmann: Mimetic Bodies.

Kunstverein Freiburg, Dreisamstr. 21, Freiburg.
Mittwoch bis Freitag 15.oo bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 21. April 2024

www.kunstvereinfreiburg.de

www.lenagrossmann.com

Lena Grossmann, MIMETIC BODIES, Performance, Kunstverein Freiburg, 2024, © Lena Grossmann / VG Bild-Kunst, Foto: Marc Doradzillo
Lena Grossmann, MIMETIC BODIES, Performance, Kunstverein Freiburg, 2024, © Lena Grossmann / VG Bild-Kunst, Foto: Marc Doradzillo
Lena Grossmann, MIMETIC BODIES, Performance, Kunstverein Freiburg, 2024, © Lena Grossmann / VG Bild-Kunst, Foto: Marc Doradzillo

Sprache und Zeichen lassen uns Bewegungen vorstellen, ermuntern zum Handeln. Sei es im Bahnhof, auf der Suche nach dem richtigen Gleis, an der Ampel oder beim Spielen: Nehmen Sie diese Rolltreppe, gehen Sie jetzt, ziehen Sie eine Karte. Tun Sie dies, tun Sie das – das gibt Sicherheit. Und tut gut an Orten, an denen Regeln gelten, die vielleicht nicht jede und jeder kennt, weil die Ordnung des täglichen Lebens hier nicht nur das Zusammenleben reguliert, sondern auch Gegenstand intensiver Beobachtung und Auseinandersetzung ist. Ein solcher Ort ist der Kunstverein Freiburg.

Lena Grossmann hat dort in den letzten Wochen viel Zeit verbracht. Erst allein, um den Raum und seine Eigenheiten zu erkunden. Dann mit fünf Performerinnen, mit denen sie schließlich einen rund einstündigen Parcours einstudierte, den sie in einer weitläufigen Zeichnung auf den Boden gebracht hat. Grossmann nennt diese Zeichnung Score. Es ist eine skizzenhafte Partitur aus Pfeilen, Linien, Kreisflächen und blauen Ovalen, gespickt mit orangen Dreiecken, die die Blickrichtung vorgeben, und überschrieben mit Anweisungen. „Synchronisiere deinen Atem“. „Stell dir eine Freundin vor, wie sie am diesem Geländer lehnt und nimm ihre Position ein“. Oder: „Geht als Gruppe durch den Raum. Beschleunigt und verlangsamt eure Schritte gemeinsam“.

„Mimetic Bodies“ heißt die Performance, mit der Grossmann ihre gleichnamige Ausstellung im Kunstverein eröffnete. Was die Künstlerin interessiert, sind die Möglichkeiten, Raum körperlich zu erfahren – nicht allein in der Bewegung des Körpers, sondern vor allem in seiner Beziehung zur Umgebung, zu anderen Körpern. „Betreten wir einen Raum, in dem bereits jemand anwesend ist, haben wir, anders als im leeren Raum, sofort eine vorgezeichnete Idee davon, wie wir uns zu diesem Körper verhalten“, sagt Grossmann, „in welchen Gesten äußert sich diese Beziehung, auf welches Körperwissen greifen wir dabei zurück?“

Die 32-Jährige, die neben Kunst auch Musik und Komposition studiert hat, entwickelte „Mimetic Bodies“ 2022 für den Lothringer 13, Kunstraum der Stadt München. Über mehrere Wochen beobachtete sie dafür alltägliche, absichtslose Bewegungen von Menschen im öffentlichen Raum. Das Verschränken von Armen, das Ausstellen eines Beins, Hände, die den Kopf stützen. Ein kleiner Schritt zurück für mehr Distanz oder das Anheben einer Hacke, um verstohlen zu prüfen, ob etwas unter der Sohle klebt. „Wir alle wissen, wie sich diese Bewegungen anfühlen“, sagt Grossmann. In der Performance „Mimetic Bodys“ bilden sie das gestische Grundvokabular der Performerinnen, die die Teilnehmenden mit auf den Weg durch die Halle nehmen, immer wieder unterbrochen von Szenen, in denen sich das Beobachten plötzlich ins Beobachtetwerden verkehrt und jede eigene Bewegung zum potenziellen Material für die Nachahmung oder Interpretation durch die Körper der anderen wird. Die doppelte Wahrnehmung, die diese Performance erzwingt, die Gleichzeitigkeit der Innen- und Außenperspektive auf den eigenen Körper und seine Beziehungen im Raum, sorgt für eine seltsam entrückte Erfahrung zwischen Isolation und Zugehörigkeit.

Was nach der Performance als Ausstellung für die kommenden Wochen im Kunstverein zu sehen sein wird, ist die kleinteilige Bodengrafik mit Bewegungskoordinaten und rund 50 Vorschlägen, sich selbst, als Duo oder als Gruppe im Raum zu verhalten. Dass das alles andere als spröde ist und viele überraschende Momente bereit hält, lassen Aufforderungen wie diese erahnen: „Stell dir eine Frucht vor. Wähle eine Körperhaltung, die dieser Frucht entspricht und sage ihren Namen“. So kann man hier Nachmittage verbringen. Dazwischen eingestreut finden sich übrigens zahlreiche Hinweise auf historische, oft auf Youtube verfügbare Performances von Trisha Brown und Simone Forti über Richard Long bis zu Kazuo Ohno und Jérôme Bel, die den Zusammenhang von Nachahmung und Körperwissen thematisieren und so eine Art Quellcode dieser Ausstellung bilden.