Hannah Höch: Montierte Welten.
Zentrum Paul Klee, Monument im Fruchtland 3, Bern.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 25. Februar 2024
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Scheideger & Spiess, Zürich 2023, 200 S., 35 Euro / 43.90 Franken.
Dieser Text erschien zuerst in der WOZ Nr. 2/2024
www.woz.ch
Was war das für ein Leben, vom nahenden Ende her betrachtet? 1972/73, fünf Jahre vor ihrem Tod, fertigte Hannah Höch die grossformatige Collage „Lebensbild“ an. Ihre Dada-Zeit nimmt nur eine kleine Ecke oben links ein, ins Auge stechen die vielen Fotografien von Höch im Alter sowie von ihrem Garten, der alles umwuchert. Dabei ist Hannah Höch bis heute vor allem als Mitglied der Berliner Dadaist:innen bekannt – nicht nur, aber auch, weil sie dort die einzige Frau war. In „Montierte Welten“, der Ausstellung über Höch im Berner Zentrum Paul Klee, gelingt der weit gespannte Bogen: Sie zeigt die Relevanz ihres (Dada-)Frühwerks und ebenso, dass ihre Arbeit weit darüber hinausging: Fast die Hälfte der Bilder, die hier zu sehen sind, stammen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Bunt sind sie, voller Tiere, Pflanzen, Fabelwelten. Eine grosse kitschige Katzencollage (ohne Jahr) ist untertitelt mit folgendem Satz: „Dies ist kein Kunstwerk, sondern eine Sammlung der schönsten Katzenfotos.“
Hannah Höch, die grosse Sammlerin. 1915 kommt sie nach Berlin und stösst bald zum Zirkel der Dadaisten. 1916 nimmt sie eine Stelle beim Ullstein-Verlag an, dem damals grössten deutschen Verlag für Illustrierte. Ganz nebenbei verschafft sie sich damit Zugang zu ihrem künstlerischen Arbeitsmaterial: einer schier endlosen Fülle an Fotografien, Reklamen, Schriften und anderen Schnipseln, die sie sorgfältig aufbewahrt und für ihre Werke verwendet. Höch gilt in Deutschland, zusammen mit Raoul Hausmann (mit dem sie in dieser Zeit eine Liebesbeziehung führt), George Grosz und John Heartfield als Erfinderin der Collage als Kunstform.
Die Montage, wie man damals dazu sagt, hat das Potenzial zu politischer Sprengkraft ebenso wie zu massloser Albernheit. Sie rückt zusammen, was (vermeintlich) nicht zusammengehört, sie kann retuschieren, verfälschen, vermehren. Es ist ein Spiel, das Höch meisterhaft beherrscht – und umfasst Techniken, die eng mit jenen des Films, der sich zu dieser Zeit zu einem Massenphänomen entwickelt, verwandt sind. Die Ausstellung in Bern zeigt explizit auch diese Verbindung; im Saal sind diverse Filme aus den 1920er und 1930er Jahren zu sehen, am Eingang etwa Dsiga Wertows Grossstadtstudie „Der Mann mit der Kamera“ (1929). Wie in der Collage, in der Bilder aus allerhand Welten zusammenkommen, verschwimmen in diesen Filmen oft die Grenzen zwischen Kunst, Dokumentation, Wissenschaft und Experiment. Von allen Filmen im Saal ist verbürgt, dass Höch, die das Kino liebte und Mitglied der Berliner Filmliga war, sie rezipierte.
Mit ihrem Material arbeitet Höch mal vielschichtig überbordend, mal mit nur wenigen Elementen. Letzteres zeigen eindringlich einige der Collagen aus den Zwischenkriegsjahren, in denen sie oft Menschen darstellt: verrutschte Gestalten, die ein im Grunde menschlicheres Bild abgeben als die gestählten Körper, wie sie in dieser Zeit insbesondere der Nationalsozialismus propagiert. „Ertüchtigung“ von 1925 zeigt zwei beinahe auseinanderfallende Figuren, die sich vor einem blau gemalten Himmel beim Hochsprung abmühen, die Gesichter mit ernsthafter Miene, die Körper ungelenk verrenkt, beide aus unterschiedlichen Figuren zusammengeschnitten – wie man beim Sport eben eher mal komplett lachhaft aussieht als wie ein Übermensch. Lächerlich ist auch „Der kleine PG“ (1931) – die Initialen verweisen auf einen „Parteigenossen“ – mit seinem riesigen Kopf, zusammengesetzt aus der Stirn eines erwachsenen Mannes mit streng pomadisiertem Seitenscheitel sowie Augen, Mund und Tränen eines heulenden Babys.
Welche traurigen Auswirkungen die von Höch so entstellte Kriegslust hat, macht die Ausstellung mit einer weiteren Verbindung deutlich: Fotos zeigen die Arbeit der US-Bildhauerin Anna Coleman Ladd, die während des Ersten Weltkriegs in Paris ein Atelier für Gesichtsprothesen eröffnet. Soldaten, denen im Krieg Teile des Gesichts weggeschossen und -gebombt wurden, erhalten hier ein Stück Würde in Maskenform zurück. Ohnehin zeigt „Montierte Welten“ aufschlussreich, wie vielfältig die Collage genutzt werden kann: rein dekorativ, humorvoll bis böse satirisch oder auch politisch manipulativ. Wie auch anderswo wird hier klar, dass nicht die Technik an sich „gut“ oder „schlecht“ ist, sondern dass es immer darum geht, wie und wozu sie eingesetzt wird. Nach 1933 habe die Montage in Deutschland weiterhin eine grosse Rolle gespielt, schreibt Höch in einem Text von 1948, der im lohnenden Ausstellungskatalog enthalten ist; die Nazis nutzten die Montage zu Propaganda- und Reklamezwecken, als Kunstform sei sie geächtet worden.
Das musste Hannah Höch an ihrem eigenen Werk erfahren, das von den Nationalsozialist:innen als „Entartete Kunst“ gewertet wurde. Mit einem Ausstellungsverbot belegt, lebte sie während des Zweiten Weltkriegs in ihrem Haus in Berlin Heiligensee. Ihre riesige Sammlung an Kunstwerken, Korrespondenz, Büchern und Pamphleten vergrub sie dort in Kisten verpackt im Garten. „Für mich galt nur noch: retten, was aus einer schöpferischen Zeit in meinen Händen war“, schreibt sie dazu in einem Text mit dem Titel „Lebensüberblick“.