Claudia Andujar: The End of the World.
PHOXXI. Deichtorhallen Hamburg,
Deichtorstr. 1-2, Hamburg.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
9. Februar bis 19. Mai 2024.
Ein geheimnisvoll entrücktes Portrait lässt einen nach innen gekehrten Blick erkennen: gerichtet in eine Weite, die sich dem menschlichen Auge gewöhnlich entzieht. Der von schmalen, halbtransparenten Bäumen überblendete Körper der ins Unbekannte schauenden Person geht förmlich in die hochgewachsenen Stämme über, deren belaubte Kronen den Himmel berühren. Natur und Mensch, Himmel und Erde verfließen organisch in den traumartigen Szenen, die Claudia Andujar in Bildern ihrer späteren, zunehmend experimentellen fotografischen Serien hervorruft. Vielschichtige Komposit-Bilder sind Teil des Lebensprojekts der 1931 in Neuchâtel, Schweiz, geborenen, in São Paulo lebenden Fotografin. Seit 1970 begleitet Andujar mit ihrer Kamera die Lebenswirklichkeit der indigenen Yanomami im brasilianischen Amazonasgebiet, das aufgrund der dort vorhandenen Bodenschätze immer wieder von Ausbeutung und Zerstörung betroffen war. Über Dekaden setzte sie sich für den Schutz der Yanomami und deren Environment ein, war zeitweilig auch Mitglied in deren Gemeinschaft. Ihr Engagement manifestierte sich in einem umfangreichen, politisch wie ästhetisch eindringlichen Œuvre von intensiver Poesie. Als vehemente Verfechterin der Menschenrechte wurde sie mehrfach ausgezeichnet
Die Einzelschau „The End of the World“ im PHOXXI in den Deichtorhallen Hamburg stellt das Werk der Fotografin in seiner tiefgreifenden gesellschaftskritischen Aussagekraft und atmosphärisch dichten Vielschichtigkeit vor. Schon 2022 waren ausgewählte Serien, die einen Bogen von ihren schwarz-weißen Dokumentaraufnahmen aus den 1970er-Jahren bis zu den mystischen Bildern der 2000er-Jahre spannten, Höhepunkte der Gruppenschau „Currency – Photography Beyond Capture“ im Rahmen der 8. Triennale der Photographie in den Deichtorhallen.
Andujar emigrierte nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst in die USA nach New York, bevor sie sich 1955 in Brasilien dauerhaft niederließ. Dort machte sie sich bald als Fotojournalistin für brasilianische und internationale Magazine wie „Look“, „Life“, „Aperture“, „Quatro Rodas“, „Setenta“ und der in den 1960er- und 1970er-Jahren maßgeblichen Zeitschrift „Realidade“ einen Namen. In ihren Montagen verknüpft sie dokumentarische Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dieser Zeit mit später entstandenen Farbfotografien zu feinstofflichen Kompositionen, um die spirituelle, schamanistische Dimension im Lebensalltag der Yanomami zu erfassen. Wie Andujar 2010 erläuterte, ist der Mensch im Denken der Yanomami der Natur nicht überlegen, sondern ein Teil von ihr: „Ich bin ebenfalls der Meinung, dass wir ein Teil der universellen Natur sind.“