Performing History. Yinka Shonibare, Voluspa Jarpa und Samuel Fosso in Schleswig

Yinka Shonibare, Addio del Passato, 2011, Filmstill, Courtesy the artist, Stephen Friedman Gallery, London & James Cohan Gallery, New York, © Yinka Shonibare CBE / VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Review > Schleswig > Schloss Gottorf
16. Januar 2024
Text: Julia Lucas

Performing History.
Musemsinsel Schloss Gottorf, Schlossinsel 1, Schleswig.
Dienstag bis Freitag 10.00 bis 17.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 1. April 2024.
www.schloss-gottorf.de

Voluspa Jarpa, The Hegemonic Map, 2022, © Voluspa Jarpa, Foto: Guyot Mendoza, VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Voluspa Jarpa, Emanicpating Opera, 2019, Courtesy the artist, © Voluspa Jarpa
Yinka Shonibare, Un ballo in maschera, 2004, Videostill, Courtesy the artist, © Yinka Shonibare

[— artline Nord] Was wäre, wenn die gängige Geschichtsschreibung nicht allein aus westlicher Sicht konstruiert und geschrieben worden wäre? Was wäre, wenn es neben einer europäischen und einer US-amerikanischen gleichberechtigt eine asiatische, afrikanische, pazifische, südamerikanische und antarktische Historie der Welt gäbe? Wäre die Menschheit eine andere? Wäre das, was wir als Kultur betrachten, anders? Wäre die Kunst eine andere, wenn es die hegemoniale Stellung der eurozentristischen Kunstgeschichte nicht gegeben hätte, die über Jahrhunderte seit der frühchristlichen Antike definiert, was zum Kanon der Kunst zählt? Fragen über Fragen lassen sich hier weiterspinnen, hat man erst einmal damit begonnen, das tradierte aufklärerische Geschichtsnarrativ kritisch zu hinterfragen. Visuelle Antworten hierauf bietet die aktuelle Sonderschau „Performing History. Postkoloniale Identität in der zeitgenössischen Kunst“ auf Schloss Gottorf an. Der kuratorische Kniff ist gelungen. Die drei großformatigen Videoperformances sind in die bestehenden Sammlungsabteilungen des Museums für Kunst und Kulturgeschichte als auch des Museums für Archäologie en passant eingearbeitet. Beinahe nahtlos, aber dann doch nicht ganz unbemerkt fügen sich die Bildschirme in die Innenausstattung der Schlossarchitektur ein. Hier zeigen der britisch-nigerianische Künstler Yinka Shonibare (1962) und die chilenische Künstlerin Voluspa Jarpa (1971) ihre filmischen Darstellungen zu einer anderen, alternativen Geschichte.

Als eine Art Einleitung zu der als Rundgang aufgebauten Schau, die vor allem auf filmische Werke fokussiert und dabei auf spezifische Weise auf die Dezentrierung und Dekolonisierung des Denkens eingeht, fungiert die großformative Fotoarbeit „Black Pope“ von Samuel Fosso in der Gotischen Halle, die Sakralkunst des Mittelalters zeigt. Der Künstler inszeniert sich hier als schwarzafrikanischer Papst. Indem er die entsprechenden zeremoniellen Gewänder und Zeichen des Papsttums verwendet und auch die bekannten Gesten als Ausdruck der kirchlichen Macht adaptiert, stellt er die Frage, was wäre, wenn der Papst Afrikaner wäre. Zudem verweist Fosso mit dieser Arbeit auf Maurizio Cattelans Installation „La Nona Ora (die neunte Stunde)“ von 1999, in der Papst Johannes Paul II. von einem Meteoriten niedergestreckt wird. Damit reiht er sich als gebürtiger Schwarzafrikaner wie selbstverständlich ein in jene Riege von weißen, westlichen Künstlern wie Cattelan, die dem Papst ästhetisch ein Denkmal setzen.

Im Hirschsaal zeigt Yinka Shonibare seine Videoarbeit „Un Ballo in Maschera“. Es ist das erste von insgesamt drei filmischen Projekten. Frei nach der gleichnamigen Oper Giuseppe Verdis von 1859 erinnert die Inszenierung Shonibares an eine fantastische Zeitreise in die Vergangenheit, in der jedoch immer wieder Hinweise auf eine schwarzafrikanische, alternative Lesart der Handlung um den Monarchenmord gibt. So ist in der Filmversion der Ereignisse hinter den Masken ein Rollentausch der Figuren deutlich beabsichtig: Der König wird von einer Darstellerin repräsentiert. Ebenso wird dieser von einer Frau erschossen. Dabei tragen alle Darsteller historische Kostüme des Rokoko, jedoch gefertigt aus bunten afrikanischen Stoffen. Eine doppelte Verweigerung der traditionellen Geschichtsschreibung wird hier deutlich: historisch bedeutsame Agenten sind weiblich und auch die visuelle Repräsentation durch Kleidung ist kulturell different.

Voluspa Jarpas „Emancipating Opera“ führt diese argumentatorische Linie konsequent weite. In der Form einer musikalischen Kantatendichtung nutzt die Künstlerin das aus der europäischen Musikgeschichte stammende Genre, um eine Erzählung über Macht und Emanzipation zu schaffen. Die Sängerin Daniela Vega widersetzt sich hier nicht nur der Kolonisierung von Natur, Kultur und Menschen, sondern auch der gesellschaftlich manifestierten Beschränkung und Einordnung des menschlichen Körpers.