Sultan Çoban: Fragmente einer persönlichen Geschichte zwischen zwei Welten

Sultan Çoban, My Mother's Tongue, 2023, Performancestill Kunsthaus L6, Freiburg, Garage, © Sultan Çoban
Porträt
10. Januar 2024
Text: Özlem Doner

Sultan Çoban,
in der Ausstellung „Treasure“ im Rahmen der Regionale 24,

Kunsthaus L6, Lameystr. 6, Freiburg.
Bis 7. Januar 2024

https://www.freiburg.de/pb/230811.html

https://www.sultan-coban.com/

„In meiner Performance geht es um Stimmen, die nicht oft gehört werden“, sagt Sultan Çoban. Die Performerin beschäftigt sich in ihrer Arbeit damit, wie sie ihren Körper als Instrument benutzen kann, um ihre Erfahrungen zwischen zwei verschiedene Kulturen darstellen zu können.

1994 in der Türkei geboren und später ausgewandert in die Schweiz, studierte sie dort Kunst & Medien an der Züricher Hochschule der Künste. Seit ihrem Bachelorabschluss im Sommer 2019 befasst sie sich intensiv mit Themen wie Vergänglichkeit, Verwirrung durch unterschiedliche Kulturen und nostalgische Erinnerungen aus der Vergangenheit, verbunden mit der Frage nach Heimat. Diese Themen präsentiert sie seit mehreren Jahren in Form von bühnenartigen Performances. „Ich habe mich schon als Kind mit vielen Theaterstücken befasst. Dabei war mir schon damals aufgefallen, dass durch den Körper ganz viel ausgedrückt werden kann“, sagt Çoban und weist auf ihre Bekleidung und die Accessoires für die Performance hin. Der Ausdruck von Kleidung und Mode im Allgemeinen trage viel zur Wirkung der Performance bei.

Doch Performances sind nicht die einzige Form der künstlerischen Darstellung, die sie ausübt, sondern auch Installationen, Textarbeiten oder Videos, die sie regelmäßig auf ihrer eigenen Website dokumentiert. Çoban nimmt sich die Freiheit, bei jeder Performance Kleinigkeiten zu verändern. Sie möchte vor allem Geschichten erzählen und Konflikte dabei so darstellen, dass sie greifbar werden.

„Treasure“ lautete der Titel der Ausstellung, die im Rahmen der Regionale 24 im Kunsthaus L6 in Freiburg zu sehen war. Die Kuratorinnen Valentina Ehnimb und Tuula Rasmussen wählten Çobans Arbeit aus einem Pool von rund 800 Bewerbungen aus, weil sie der Ansicht waren, dass sie – aufgewachsen in zwei Kulturen – eine besondere Perspektive auf das Thema der Schau hatte.

Sultan Çoban, die jetzt zum ersten Mal an der Regionale teilnahm, zeigte hier ihre jüngste Arbeit „My Mother`s Tongue“ in der Garage des Kunsthauses L6. Im Mittelpunkt stand sie als Performerin, bekleidet in einer schwarzen Hose und einem kurzen Top mit silbernen Pailletten. Eine Sonnenbrille und auffällige silberne Ohrringe vervollständigten ihre Darstellung der fiktiven Persönlichkeit, die ebenso Sultan Çoban heißt. Sie stand mit dem Rücken zu den Betrachtenden im Raum und hielt ein Mikrofon in den Händen, orientalische Musik begleitete ihre Performance im Hintergrund. Die Künstlerin bewegte sich im Takt zu der Musik und erweckte den Anschein, singen zu wollen. Gleichzeitig wurde sie ihre Performance auch an die Wand projiziert, so dass die Betrachtenden diese Arbeit aus zwei Perspektiven sehen konnten. Der Blick wanderte zwischen der live performenden Künstlerin und der Wandprojektion hin und her, während man auf den Moment wartete, in der sie zu singen beginnen würde. Dieser Moment aber kam nicht. Stattdessen bekam man einen von Çoban verfassten Text zu lesen.

Der Text weihte die Betrachtenden in die gegenwärtige Situation des fiktiven Charakters ein und präsentierte eine mit falscher Bescheidenheit agierende Persönlichkeit. Diese erwähnte die Problematik der kulturellen Disparität, womit sich Sultan, die Künstlerin, auch selbst identifizieren kann. Ihr Ziel ist es, ihre eigenen Erinnerungen und Erfahrungen im Leben in die Persönlichkeit der fiktiven Figuren mit einzubringen, welche anhand sarkastischer Kommentare offenbart werden.

Verbunden mit dem Thema, das der Titel „Treasure“ andeutet, möchte Sultan Çoban auf die Erinnerungswerte aufmerksam machen, die sie in ihrem Statement erwähnt. Fragmente persönlicher Geschichten, aufgeladen mit emotionalen Bedeutungen, deuten auf die Wechselbeziehungen zwischen Menschen und Objekten hin und lassen diese zu etwas Wertvollem werden.

Darüber hinaus hinterließ die Künstlerin selbst auch Objekte, die als „treasure“ aufgefasst werden können. Nach ihrer Performance in der Garage des L6 verblieben die Ohrringe und die Sonnenbrille, die eine wichtige Rolle für ihre fiktive Figur spielen, im Raum und ließen die Betrachtenden so auch über die Wertigkeit eines solchen Objektes nachdenken.

Dieser Text entstand im Rahmen der Übung „Kunstkritik: Zeitgenössische Kunst zum Sprechen bringen“ im WS 2023/24 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg.