Dominique White

Dominique White, Foto: Rose Waite, 2022
Porträt
9. Januar 2024
Text: Nicole Büsing & Heiko Klaas

Dominique White: When Distaster Strikes.
Kunsthalle Münster,
Hafenweg 28, Münster.
Dienstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 10. März 2024.

www.kunsthallemuenster.de

Dominique White, When Disaster Strikes, 2023, Installationsansicht Kunsthalle Münster, Courtesy the artist und Veda, Foto: Kunsthalle Münster / Volker Renner, © Dominique White
Dominique White, May you break free and outlive your enemy, 2021, Installationsansicht in Veda, Florenz, Foto: Flavio Pecatori, Courtesy the artist, © Dominique White
Dominique White, Zero Is My Country, 2021, Installationsansicht im UKS – Unge Kunstneres, Oslo, Foto: Vegard Kleven, Courtesy the artist, © Dominique White

[— artline Nord] Geschredderte Schiffssegel, die zu bizarren neuen Gebilden zusammenfügt werden. Verbogene Harpunenspeere, deren Spitzen sich gegen sie selbst richten, zerschlissene Taue, zerstörte Rettungsringe, rostige Eisenketten, angekohltes Mahagoniholz und weitere Trümmerteile von Booten oder Schiffen. Die 1993 geborene britische Bildhauerin, Installationskünstlerin und Performerin Dominique White verwendet in ihren oft raumfüllenden Installationen alle möglichen Überbleibsel und Reste der Schifffahrt. So auch in ihrer ersten Ausstellung in Deutschland in der Kunsthalle Münster, die unter dem Titel „Dominique White: When Disaster Strikes“ sechs skulptural-installative Settings präsentiert. Alle Arbeiten wurden vor Ort neu produziert.

Dominique White, die in Essex und Marseille lebt, ist Angehörige der schwarzen Diaspora. Ihre Vorfahren sind aus der Karibik nach Großbritannien eingewandert. In ihren vielschichtigen und materialreichen Arbeiten ist sie auf der Suche nach einer neuen Bildsprache für „Blackness“ und die historischen Traumata der schwarzen Community. Ausgehend von der von Unterdrückung, Gewalt, Versklavung und Kolonisierung geprägten Geschichte farbiger Menschen entwickelt sie bildgewaltige Narrative voller Anspielungen auf die Welt ihrer Vorfahren, karibische Spiritualität und Legenden, aber auch Akte des Widerstands und der Selbstbehauptung in einer bis heute von Weißen dominierten Welt.

Die Künstlerin, die die einzelnen Elemente ihrer Arbeiten häufig mit einem Überzug aus pulverisierter weißer Tonerde zu einem einheitlichen Ganzen verdichtet, findet zeitlose Bilder für politische Konstellationen, die sie als zyklisch betrachtet: „Was der Generation meiner Eltern passiert ist, ist auch der Generation meiner Großeltern und meiner Urgroßeltern passiert, und es wird auch der Generation wieder passieren, die nach mir kommt.“ Aus Äußerungen wie dieser wird klar, dass Dominique White sich keinerlei Illusionen hingibt, wonach sich die Situation schwarzer Menschen in der Diaspora rasch zum Positiven wenden könnte.

Die Unterdrückung der Schwarzen betrachtet sie nicht als abgeschlossene historische Periode, sondern als eine bittere Realität, die bis heute fortdauert. Weder das Civil Rights Movement noch die Black Lives Matter-Bewegung konnten bisher wesentliche Verbesserungen für die Emanzipation schwarzer Menschen herbeiführen. Insofern zeigt sich White als Anhängerin einer vom Glauben an die Ausweglosigkeit der schwarzen Existenz geprägten Denkschule, für die der Afroamerikanist Frank B. Wilderson III in seinem gleichnamigen Standardwerk die griffige Formel des „Afropessimismus“ geprägt hat. Wilderson geht davon aus, dass die unvollständig aufgearbeitete Geschichte der Sklaverei bis heute maßgeblich für die Wahrnehmung und Unterdrückung schwarzer Menschen verantwortlich ist. Aus Dominique Whites Arbeiten spricht zwar einerseits eine resignative Grundhaltung. Die wenig hoffnungsvolle Perspektive konterkariert die Künstlerin jedoch, indem sie afrofuturistische Narrative als wichtige Inspirationsquellen heranzieht. Das 1992 erschienene Album „Deep Sea Dweller“ des aus Detroit stammenden Techno-Duos Drexciya bildet eine wichtige Referenz für ihr Werk. Darin wird eine utopische Unterwasserzivilisation imaginiert, die von den Kindern schwangerer Sklavinnen gegründet wurde, welche auf der Atlantikpassage ertrunken sind.

Im Zentrum der Kritik Whites steht auch das Phänomen der Hydrachie. Darunter versteht man Machtmechanismen der Seemächte, die durch die Beherrschung der Weltmeere den Anspruch auf ferne Länder zementieren. Getreu etwa dem britischen Lied „Rule Britannia! Britannia Rule the Waves“ von 1755, in dem der imperialistische Anspruch zum Ausdruck gebracht wird, dass ausgerechnet die damals den Weltmarkt des Sklavenhandels dominierenden Briten selbst niemals zur Sklaverei verdammt sein dürften.