Meredith Monk: Calling. Die menschliche Stimme im Zentrum

Meredith Monk
Meredith Monk, Quarry, 1976, La Mama ETC, New York, NY, Foto: Johan Elbers
Review > München > Haus der Kunst
30. Dezember 2023
Text: Jürgen Moises

Meredith Monk.
Calling Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München.
Montag, Mittwoch bis Sonntag 10 bis 20 Uhr. Donnerstag 10 bis 22 Uhr.
Bis 3. März 2024.
www.hausderkunst.de

Meredith Monk
Meredith Monk, Quarry, Songs of Ascension Shrine, 2023, Installationsansichten, Haus der Kunst, 2023, Foto: Fritz Beck
Meredith Monk
Meredith Monk, Juice, 1969/1998, Installationsansicht, Haus der Kunst, 2023, Foto: Fritz Beck
Meredith Monk
Meredith Monk, Quarry,16 Millimeter Earrings, 1966, Foto: Kenneth van Sickle, Courtesy the artist

Als Meredith Monk irgendwann gegen Ende 1965 in ihrem Studio sang, hatte die Komponistin, Sängerin, Tänzerin, Filmemacherin und Choreografin eine Offenbarung. Sie erkannte, dass die Stimme den gleichen Bewegungsspielraum wie die Wirbelsäule oder der Fuß hat. Und dass sie unzählige Charaktere, Landschaften, Farben und Texturen enthält. Von da an war Monks ganze drei Oktaven umfassendes Organ ihr zentrales Instrument. Und spätestens seit ihrem Debütalbum „Key“ von 1971 ist die heute 81 Jahre alte Künstlerin auch primär als Sängerin bekannt. Dabei waren die Grenzen zu den Kunstformen Theater, Tanz, Video und Installation bei ihr schon immer fließend, wie aktuell recht eindrücklich die Ausstellung „Meredith Monk. Calling“ im Münchner Haus der Kunst zeigt. Es ist die erste Retrospektive der Amerikanerin in Deutschland, die konkret das „Immersive“ in Monks Werk ins Zentrum stellt. Und die zugleich eine Antwort auf die Frage geben will: Wo kommen ihre Grenzen sprengenden Ideen her?

Dafür wurden im sogenannten „Archive Dream Room“ architektonische Elemente aus Monks Loft in New York rekonstruiert. Es gibt dort Bücher, Zeichnungen, Fotografien, einen Flügel, ein Aufnahmegerät, Dinge, die ihrem Wohnumfeld oder Atelier entstammen oder nachgebildet sind. Außerdem kann man bequem im Sessel via Tablet Monks Alben und Interviews mit ihr goutieren sowie Mitschnitte von Konzerten und Performances. Das Versprechen hier ist, dass der kreative Prozess und vielleicht sogar das „Genie“ der Künstlerin offenbart wird. So wie die kleinen Objekte, Münzen, eine Maultrommel, ein Tennisball, die man in sich öffnenden und schließenden Händen in der schönen Videoarbeit „Offering“ von 1994 sieht, die einen draußen am Hauseingang empfängt. Aber hier wie dort behalten die Dinge ihr Geheimnis. So wirkt im „Archive Dream Room“ vieles doch nur anekdotisch, so wie die Schuhe aus verschiedenen Performances, die man ebenfalls dort sieht. Aber das ist ja auch die Crux. Wie kriegt man in einer Ausstellung eine Künstlerin zu fassen, bei der so etwas Ephemeres wie die menschliche Stimme im Zentrum steht? Nun, die Kuratorinnen Anna Schneider und Teresa Retzer haben sich dafür Hilfe beim Mailänder Architekturbüro 2050+ geholt. Das Ergebnis sind Vorhänge aus Schnüren, auf denen Filme laufen, dramatische Lichtinszenierungen sowie Rekonstruktionen von drei frühen Installationen, die man im Raum „Time Capsules“ erlebt: Das Performance-Werk „16 Millimeter Earrings“, mit dem Monk 1966 ihren Durchbruch hatte. „Juice“, eine ihrer wichtigsten ortsspezifischen Arbeiten von 1969. Und „Quarry“, eine Oper „in three movements“ von 1976 über den Zweiten Weltkrieg, in der ein krankes Kind als Metapher für die Welt steht. Inszeniert werden die Werke auch hier in Form von Requisiten, die wie bei den Original-Aufführungen durch Filme, Klang und Gesang belebt werden. Etwas versteckt neben den Installationen kann man Filmmitschnitte davon sehen. Durch die Lebendigkeit der Videos und Töne gerät das alles durchaus eindrücklich und lässt an das Theater eines Robert Wilson denken.

Noch eindringlicher sind aber Monks multimediale „Schreine“, die einen im Kapitel „Shrines And Other Offerings“ erwarten. Hier präsentiert die überzeugte Buddhis­tin, die aus einer jüdischen Musiker-Familie stammt und als wichtige Weggefährten etwa John Cage, Steve Reich oder Charlotte Moorman hatte, die Kunst als/der Heilung. Hier kann man an einem „Silbersee“ ihre Komposition „Dolmen Music“ hören. Hier sieht man im „Bloodline Shrine“ auf Bildschirmen Gesichter und andere Körperteile, ein Loblied auf die DNA. Hier wird in „Songs of Ascension Shrine“ ein Turm zu einer Klangskulptur, in der Menschen und Stimmen auf- und absteigen. Hier taucht man ein in Monks einzigartige Stimme, mit der sie nicht nur singt, sondern auch summt, keucht, gurgelt, jodelt oder stöhnt. Wer davon nicht genug kriegt: Das Münchner Label ECM hat mit „The Recordings“ noch einmal alle dort veröffentlichten Werke neu herausgebracht. Und vom 15. Februar an kann man die Sängerin drei Tage lang live in München erleben. Die drei Oktaven, heißt es, schafft sie heute immer noch.