Verstehen – Das Problem des Anderen: Neue Freunde

Susanne Keller verstehen
Susanne Keller, Volkstanz, 2017–2023, Foto: Zoe Tempest, Courtesy the artist
Review > Zürich > Helmhaus Zürich
21. Dezember 2023
Text: Annette Hoffmann

Verstehen.
Helmhaus Zürich, Limmatquai 31, Zürich.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 7. Januar 2024.
www.stadt-zuerich/helmhaus

Um andere zu verstehen, muss man sich erst einmal selbst verstehen. Romain Mader jedenfalls kennt seine Bedürfnisse. Er will neue Freunde – und er ist wirklich schnell darin, sie zu finden. Der Zürcher Künstler reiste nach Deauville in die Normandie und beobachtete erst einmal, wie sich die Gruppen, die Kleinfamilien, die Paare am Strand geben. Mit einiger Frechheit rückte er sich selbst ins Bild. Man erkennt ihn auf den 2011 entstandenen Fotos „De nouveaux amis“ sogleich, zwar imitiert er, wie sich die anderen in ihrer Freizeit geben, doch man sieht ihm den vermeintlichen Wunsch deutlich an, dazuzugehören. Während der Pandemie war für den gesellschaftlichen Zusammenhalt viel Verständnis nötig. Es fehlte oft daran oder anders herum, es gab viele, die dieses Verständnis mit ihrem Verhalten ungefragt einforderten. Mit ein paar Krisen (und Kriegen) mehr, ist das Problem, nicht kleiner geworden. Es ist daher eher kein Zufall, dass das Zürcher Helmhaus jetzt eine Ausstellung mit dem Titel „Verstehen – Das Problem des Anderen“ zeigt. Dabei ist der Titel durchaus doppeldeutig, indem nicht nur der Andere ein Problem hat, sondern das Andere für einen selbst problematisch sein kann.

Die Ausstellung selbst nimmt sich dabei alle Freiheiten, ihr Thema nicht völlig stringent zu behandeln. Viele Arbeiten setzen sich mit der eigenen Identität auseinander, oft in Form von Spiegeln oder einem Gegenüber. Während der Pandemie ist sich Denis Savi in seiner Reihe von Selbstporträts „Mein Bruder ist ein Einzelkind“ geradezu selbst abhandengekommen, während Sasha Huber ebenfalls in einer Fotoarbeit – auf der Suche nach Trennendem und Verbindendem – Aufnahmen von sich und ihrem Halbbruder an einer Symmetrieachse spiegelt. In der Videoinstallation „BAK-Chat“, die durch eine Wandarbeit erweitert ist, auf der man seine eigenen Erfahrungen mitteilen kann, geht Damon Mark Mikro­aggressionen im Alltag nach. Und er gibt Tipps, wie man auf Sätze wie „Das ist nicht diskriminierend, sondern als Kompliment gemeint“ adäquat reagieren kann. Denn nicht minder wichtig ist die Wahrnehmung als Beginn allen Verstehens. So liegen der Installation und den Pastellzeichnungen „Emotionale Landschaften“ von Susanne Keller Interviews zugrunde, für die sie ornamentale Formen fand. Während Sandra Boeschenstein Zeichnungen nicht nur in Vitrinen zeigt, sondern sie als Fäden auch durch den Raum spannt. Von einer Lampe am Boden und ihrem Lichtkegel geht ein ganzes Bündel von schwarzen Fäden ab, in einer Ecke ist ein Bleistift so zwischen den Wänden gespannt, dass er auf der Sitzfläche eines gezeichneten Stuhls zu liegen kommt. Das wäre eine Übung im Verstehen, insofern diese Zeichnungen die Grenzen des Verstehbaren erweitern.