Eine Zukunft für die Vergangenheit. Sammlung Bührle: Kunst und Konflikt

Sammlung Bührle
Edgar Degas, Avant le départ, 1878/1880, Sammlung Emil Bührle, Dauerleihgabe Kunsthaus Zürich, ehemals Sammlung Paul Rosenberg
Thema
21. Dezember 2023
Text: Redaktion

Eine Zukunft für die Vergangenheit. Sammlung Bührle: Kunst, Kontext, Krieg und Konflikt.
Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1, Zürich.
Dienstag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch bis Donnerstag 10.00 bis 21.00 Uhr, Freitag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Voraussichtlich bis Ende 2024.
www.kunsthaus.ch

Sammlung Bürhle
Eine Zukunft für die Vergangenheit. Sammlung Bührle: Kunst, Kontext, Krieg und Konflikt, Ausstellungsansicht Kunsthaus Zürich, 2023, Foto: © Kunsthaus, Zürich Franca Candrian
Sammlung Bührle
Archiv der Stiftung Sammlung E.G. Bührle, Bibliothek Kunsthaus Zürich, Foto: © Kunsthaus Zürich Franca Candrian

Im Jahr 1955 bezeichnete das US-amerikanische Magazin „Fortune“ Emil Bührle (1890-1956) als „a force on the art market“, zusammen mit vier weiteren Sammlern. Im Kalten Krieg war das Vermögen des Rüstungsunternehmers noch einmal rasant gestiegen und der Markt war voll mit Bildern. Warum das so war? Auch das lässt sich derzeit im Kunsthaus Zürich nachlesen. Es lag an Schicksalen wie von Martha Nothmann. Zusammen mit ihrem Mann flieht sie 1939 nach England. Um aus Deutschland herauszukommen, verkauft das jüdische Paar Werke aus seiner Sammlung. 1947 sieht sie sich gezwungen, aus finanzieller Not einen Cézanne in den USA zu verkaufen. Sie ist kein Einzelfall. Einmal mehr profitiert der Waffenhändler zumindest von der Notlage jüdischer Sammler. In den Jahren 1946 bis 1948 restituiert Bührle 13 Werke, die eindeutig Raubkunst waren, an ihre legitimen Besitzer oder deren Nachfahren. Neun kauft er erneut. Und er verklagt in diesen Jahren den Luzerner Kunsthändler Theodor Fischer mit der Begründung, er habe diese gutgläubig erstanden. Bührle wird für den finanziellen Mehraufwand bei den Rückkäufen entschädigt.

Ließe sich Unbehagen an der Länge eines Ausstellungstitels messen, wäre dieser sprechend: „Eine Zukunft für die Vergangenheit. Sammlung Bührle: Kunst, Kontext, Krieg und Konflikt“. Für die neue Direktorin Ann Demeester ist die Präsentation ein erster Schritt. Doch welche Zukunft die Sammlung Bührle als Dauerleihgabe der Stiftung E. G. Bührle im Kunsthaus Zürich hat, bleibt offen, oder genauer: wird nicht recht hinterfragt. Der wissenschaftliche Beirat der Ausstellung war noch vor der Vernissage geschlossen zurückgetreten. Noch immer läge der Schwerpunkt zu stark auf dem Sammler, lautete die Begründung. Tatsächlich sind die Fakten bekannt, doch werden sie erstmals an diesem Ort ausführlich ausgebreitet. Der Deutsche Bührle fasst in den 1930er Jahren zunehmend Fuß in den einflussreichen Kreisen Zürichs. Er macht Geschäfte mit den Alliierten, beliefert dann das NS-Regime, er profitiert von Zwangsarbeit, sowohl in den KZs als auch in den 1950er Jahren in seiner eigenen Spinnerei. Bührle sucht die Nähe zur Kultur, insbesondere zum Kunsthaus Zürich. Er ermöglicht Ankäufe, organisiert Fahrten ins besetzte Frankreich, um (arisierte) Kunst zu kaufen. Und er finanziert einen Erweiterungsbau in den 1950er Jahre. Dass die Sammlung Bührle im 2021 eröffneten Chipperfield-Bau zu sehen ist, ist die Folge von all dem. Doch es geht in der Diskussion nicht allein um die Sammlung und die Provenienzforschung der Stiftung, die derzeit überprüft wird – was bei über 200 Werken zumindest ambitioniert erscheint. Videointerviews in der Ausstellung befassen sich auch mit der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und dem fragwürdigen Konzept der Neutralität. Das Vergangene ist noch nicht einmal vergangen.