Damián Ortega: Essay on Exchange. Tönerne Wertschöpfungsketten

Damián Ortega
Damián Ortega, Essay on Exchange, Ausstellungsansicht Museum Haus Konstruktiv, 2023, Foto: Stefan Altenburger
Review > Zürich > Museum Haus Konstruktiv
20. Dezember 2023
Text: Annette Hoffmann

Damián Ortega: Essay on Exchange. Zurich Art Prize.
Museum Haus Konstruktiv, Selnaustr. 25, Zürich.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 14. Januar 2024.
www.hauskonstruktiv.ch

Damián Ortega
Damián Ortega, Color: Collars. The Guiding Thread, 2023, Detail, Essay on Exchange, Ausstellungsansicht Museum Haus Konstruktiv, 2023, Fotos: Stefan Altenburger
Damián Ortega
Damián Ortega, Acrylic Ocean, 2023, Videoprojektion, Essay on Exchange, Ausstellungsansicht Museum Haus Konstruktiv, 2023, Foto: Stefan Altenburger

Damián Ortega (*1967) geht die Dinge zwar spielerisch, aber eben doch auch systematisch an. Und vielleicht war „Cosmic Thing“, die Arbeit, die der mexikanische Künstler 2003 auf der Biennale von Venedig gezeigt und die ihn bekannt gemacht hatte, weniger das Still einer Explosion, sondern einfach eine Erkundung, wie so ein VW-Käfer gebaut ist. Die aufgehängten Einzelteile des Autos, die in der Luft hingen als ob ein findiger Mechaniker sie demnächst wieder zusammensetzen könnte, wären dann eine Art Vivisektion gewesen, um die eigene Neugierde und die der Betrachtenden zu befriedigen. In seiner aktuellen Ausstellung im Museum Haus Konstruktiv anlässlich des Zurich Art Prize 2023 bildet eine derartige Raumzeichnung das Zentrum seiner Präsentation im Erdgeschoss. Sie besteht aus mehreren Hundert an Angelschnüren hängenden kleinen Tonkügelchen, die in der Mitte einen Trichter formen, der von zwei Volumina umfangen wird, je nach Perspektive ist das Gebilde offen.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Mexikaner, der einerseits Autodidakt, andererseits stark von Gabriel Orozco beeinflusst ist, mit Ton arbeitet. Bereits bei seiner Ausstellung in der Kunsthalle Basel 2004 platzierte er einen Tonkegel und bei seiner Einzelschau in der Fruitmarket Gallery in Edinburgh war es das Material, aus dem sich alles entwickelte. „Stages of Time“ hieß seine Ausstellung dort 2016. Die schottische Hauptstadt liegt einerseits am Firth of Forth, andererseits erstreckt sie sich über mehrere vulkanischen Hügel und einen Graben. Man sieht die geologischen Kräfte, die sie über die Zeit hinweg gebildet haben und so war die Erosion des Wassers ein Thema der Ausstellung. Wenn Ortega seine Ausstellung im Museum Haus Konstruktiv jetzt „Essay on Exchange“ genannt hat, erzählt dies eben auch etwas über den Charakter des Finanzplatz Zürich.

Am Anfang dieses Essays, der sich wie ein Text in mehrere Abschnitte gliedert, stehen einfache mit der Hand modellierte Tonbällchen. Sie addieren sich ausgehend von einer Kugel zu einer Zahlenreihe. Ortega macht ein arithmetisches System daraus, das die Grundlage unserer Wirtschaft bildet – so wie wichtige Zeugnisse der Keilschrift auf Tontafeln eben auch Rechnungen sind. Ortega ergänzt seine Arbeiten mit kurzen Wandtexten. Es sind oft Tauschsys­teme, die er hier versinnbildlicht. Etwa wenn er Maiskörner und Kakaosamen formt oder eine Puppe aus tönernen Maiskolben. Der Ton, der in Zürich in verschiedenen Formen von lederhart bis gebrannt in den Vitrinen ausgelegt ist, stammt aus Oaxaca. Damián Ortega zeigt auch, wie sich der Tauschwert verselbstständigt, so bekommen Tonperlen einen autonomen ästhetischen Wert und aus einem Abakus wird ein Karren mit Rädern. „The value of knowledge“ ist dieses Kapitel überschrieben. In einer weiteren Vitrine ist eine auseinandergenommene Waffe zu sehen. In der Mitte des Raumes liegt eine ältere Arbeit Ortegas, es ist ein ausgehöhlter Tonklumpen zusammen mit Bällen verschiedener Größe, die aus dessen Inneren stammen. Und wenn dieser Kreislauf mit einer Vitrine endet, deren Gefäße die Form von Urnen haben, hat dieser Tauschhandel nicht nur längst seine Unschuld verloren, sondern wirkt auch wie der Sündenfall, der Mühsal und Tod über die Menschheit gebracht hat. In seiner Struktur jedoch ist dieser Essay über Handel und Tausch gar nicht weit entfernt von Ortegas Raumzeichnungen, indem er die einzelnen Bestandteile als Narrationen in Vitrinen ausbreitet.

Man muss Ortega dabei nicht einmal als Moralisten missverstehen. Im zweiten Teil der Ausstellung zeigt der Künstler seine beiden neuen Videoarbeiten „Acrylic Ocean“. Merkwürdige Wesen, deren Rückgrate aus LEDs zu bestehen scheinen oder die wie ein Mobile aus farbigen Verschlüssen von Plastikgetränkeflaschen wirken, werden wie Puppen durch eine Unterwasserwelt bewegt. Der Sound dazu klingt mitunter unheilvoll, tatsächlich jedoch sind die Bilder ausgesprochen ästhetisch, auch wenn sie keinen Moment das Problem des Plastikmülls in unseren Meeren vergessen lassen.