Regionale 24: Dort, wo sich Himmel und Erde nicht treffen.
T66, Talstr. 66, Freiburg.
Donnerstag bis Freitag, Sonntag 13.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 7. Januar 2024.
Man erkennt hier kaum mehr als Schemen. Dies gilt für die meisten von Elisa Runggers Werken und so auch für ihr Bild „Cocktailbar“, welches sie zusammen mit einer weiteren Arbeit „Frühstück“, derzeit im Rahmen der Regionale 24 im Freiburger Ausstellungsraum T66 ausstellt. Auf den Bildern sind mehrere Personen zu sehen, die jeweils nebeneinandersitzen und, obgleich sie den Betrachtenden zugewandt sind, sich diesem entziehen. Die dargestellten Situationen sind alltäglich und typisch für die Künstlerin, die aktuell an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe studiert.
Auf dem Kunstwerk „Cocktailbar“ sind zwei Personen in einer stimmungsvoll in Szene gesetzten Bar abgebildet. Eine Kulisse, die durch ihre Alltäglichkeit so vertraut wirkt, dass sich jeder Betrachter des Bildes darin wiederzufinden vermag. Das Interieur ist durch eine aufwändige, kachelartige Wandgestaltung gekennzeichnet. Genau wie die Gesichter und Körper ist auch der Hintergrund stark verfremdet, geradezu verzerrt.
Während bei „Cocktailbar“ der Raum zwar vage bleibt, aber durch die warmen Rot- und Brauntöne einen gemütlichen Eindruck erweckt, ist er bei „Frühstück“ wesentlich undeutlicher gestaltet. Vor diesem sticht die grüne Umrandung umso deutlicher hervor. Zu erkennen ist außerdem ein Tisch, auf dem sich Teller mit Eiern befinden, sowie Becher und andere schwer zu identifizierende Gegenstände. Die Person, die rechts abgebildet ist und blaue Kleidung trägt, hält ein in Weiß gekleidetes Kind im Arm. Auch dieser Schauplatz wirkt vertraut, wodurch es den Betrachtern leichtfällt, sich in die Situation hineinzuversetzen.
Die verzerrte und verschwommene Darstellungsweise, die ihre Bilder aufweisen, verwendet Elisa Rungger als Stilmittel, um Irritationsmomente zwischen den Betrachtenden und den Bildern herzustellen. Hierfür spielt sie immer wieder mit dem Abstraktionsgrad ihrer Bilder, wobei die Figuren nicht als Individuen zu erkennen sind und meist nicht einmal ihr Geschlecht eindeutig zu bestimmen ist. Die Künstlerin erforscht in ihren Bildern die facettenreichen Rollen, die Menschen während ihrer Begegnungen mit anderen Charakteren einnehmen. Je nach Situation kann man, so Rungger, Schwester, Studentin oder eine Künstlerin verkörpern und dennoch alles zugleich sein. Jeder passt sich an und erschafft unabsichtlich verschiedene Versionen des Ichs. Die Bilder dienen als Werkzeug, sich dem eigenen fluiden Selbst bewusst zu werden. Es entsteht Raum für Interpretation und eigene Reflexion.
Hierzu sagt Rungger: „Wir sind alle kleine Universen, die aufeinandertreffen. Man findet einander, aber kann die andere Person doch nie vollkommen begreifen“.
Zu Beginn jedes neuen Werks steht die Thematik, mit der sich die junge Künstlerin auseinandersetzen möchte. Dazu meint sie: „Kunst sollte nicht willkürlich entstehen, sondern eine Vision, einen Blick auf die Welt vermitteln wollen“.
Mit diesem Blick auf die Welt sucht sie sich geeignetes Bildmaterial, das sie unter Zuhilfenahme verschiedener Techniken verfremdet. Unter anderem greift sie auf chemische Substanzen zurück, nutzt Collagetechniken und bedient sich verschiedener digitaler Fotobearbeitungsprogramme. Inspiriert von den daraus resultierenden Ergebnissen, erstellt sie nun kleine Skizzen. Nachdem die finale Komposition, sowie Farbpalette feststehen, überträgt sie diese mit Ölfarbe auf Leinwand.
Ebenfalls beschäftigt sich Elisa Rungger intensiv mit der Geschichte der Kunst und setzt sich immer wieder mit verschiedenen Künstler*innen der Vergangenheit und Gegenwart auseinander. Dies hält sie für eine essenzielle Voraussetzung, um gute Kunst zu schaffen.
Die Kunstgeschichte fungiert als Fundament, auf dem das eigene Werk aufbauen sollte und worauf es Bezug nehmen kann.
Zu den Künstler*innen, die sie aktuell besonders inspirieren, gehören unter anderem Maler*innen wie Maria Lassnig, die durch inneres Erspüren des eigenen Zustandes, körperliches Empfinden mittels künstlerischer Medien zum Ausdruck brachte. Dies zeugt von einer stetigen Selbstanalyse die Elisa Rungger wohl ebenfalls nicht fremd ist. Auch Francis Bacon, der für seine ungeschönten, grotesken und figurativen Motive bekannt ist, stellt eine ständige Referenz für sie da. Beide Künstler*innen beschäftigten sich trotz unterschiedlichster Backgrounds mit den Darstellungen von Körpern und der malerischen Auseinandersetzung mit intimsten Emotionen.
Der italienische Maler Rosso Fiorentino, der in seiner Farbigkeit an die Fresken erinnert, die Rungger schon als Kind besonders faszinierten, hat heute ebenfalls einen Einfluss auf das Werk Runggers. Auch in Zukunft möchte sich Elisa Rungger der Thematik der eigenen Wahrnehmung weiter widmen und diese anhand von dargestellten Alltagssituationen erforschen.
— Dieser Text entstand im Rahmen der Übung „Kunstkritik: Zeitgenössische Kunst zum Sprechen bringen“ im WS 2023/24 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg.
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