Olivia Wiederkehr

Olivia Wiederkehr
Olivia Wiederkehr, Der Geruch einer Wolke, Lecture Performance, Villa Bernasconi, Genève, 2023, Foto: S.M., © Olivia Wiederkehr
Porträt
20. Dezember 2023
Text: Annette Hoffmann

Olivia Wiederkehr. Gastkünstlerin der Auswahl 23.
Aargauer Kunsthaus, Aargauerplatz, Aarau.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 7. Januar 2024.
www.aargauerkunsthaus.ch
www.oh-wiederkehr.ch

Olivia Wiederkehr
Olivia Wiederkehr in Kollaboration mit dem Theater HORA, Hello, we are free to retrieve our space!, 2022, Courtesy the artists, © Olivia Wiederkehr
Olivia Wiederkehr
Olivia Wiederkehr & Leda Della, yes!yes!yes!no!no!, 2020, Performancestill Athen, © Olivia Wiederkehr

Olivia Wiederkehr (*1975) wurde mit dem Jurypreis der Aargauer Jahresausstellung für eine Arbeit ausgezeichnet, die sich ihren Raum nahm. An mehreren Positionen des Ausstellungshauses platzierte sie High-Tech-Zelte, die für Extrembedingungen produziert wurden. Auf Gruppenausstellungen macht man sich damit bei Kolleginnen und Kollegen keine Freunde und auch nicht unbedingt bei der Haustechnik. Wiederkehr beansprucht den Raum jedoch nicht für sich, indem sie die Reißverschlüsse der Zelte hochzog, wurden diese zu einer Möglichkeit, mit der Installation zu interagieren. Mehr noch, sie lud zwei Wochen das inklusive freie Theater Hora ein, diese Räume zu Bühnen zu machen. Nun wird sie als Gastkünstlerin bei der Auswahl 23 dabei sein.

Räume sind überhaupt ihr Ding. Sie ist ausgebildete Dekorationsgestalterin, studierte Szenografie in Berlin, bevor sie in Zürich und Basel zur Kunst wechselte und nach ihrem Abschluss mehrere Jahre am Zürcher Theater Neumarkt als Abteilungsleiterin für Tapisserie und Polsterei arbeitete. Wiederkehr weiß also, was es bedeutet, wenn man öffentliche oder geschützte Räume zu Bühnen macht und diese für andere Akteurinnen und Akteure öffnet. Nicht grundlos arbeitet sie oft mit Stoff und auch das Gewebe der Zelte ist ja nichts anderes als eine Schicht zwischen dem Körper und dem Außen. Olivia Wiederkehr jedenfalls hat einen großen Wissensschatz über Materialien, ihre Eigenschaften und Wirkungen.

Stoffe sind in ihren Arbeiten so etwas wie die vierte Wand im Theater. Man kann mit Stoffen spielen, Nähe erlauben oder Distanz gebieten. Als sie ihre Performance „yes!yes!yes!no!no!“ 2020 mitten in der Pandemie in Athen zeigte, durften Passanten die Kostüme der Performerinnen anfassen. Auf die stoffreichen Tellerröcke hatte Wiederkehr Thesen aus Hannah Arendts Essay „Die Freiheit, frei zu sein“ auf Griechisch und Englisch schreiben lassen. „Free to resist“ oder „Free to act in my space of freedom“ konnte man unter anderem auf ihnen lesen. Die Interaktionen mit den Athenerinnen und Athenern löste den Titel des philosophischen Aufsatzes also unmittelbar ein. Das Kostüm aber, das die Tänzerinnen mal wie einen Kreis um sich ausbreiteten oder in das sie sich einwickelten, erweiterte ihren Körper oder machte ihn schmaler, aber schützte ihn dadurch stärker.

Die Settings, die Wiederkehr schafft, sind Denkbilder, Manifestationen von Überlegungen zu unserer Gesellschaft. Es sind erfahrbare Paradoxien und Engführungen, etwa dass wir uns extremen Witterungen aussetzen, für die unser Körper nicht gemacht ist oder dass wir zerstören, was uns schützt. In ihrer Performance von 2018 „Destroying seven shelters“ etwa reißen und zerren sieben Performerinnen, die in weiße Schutzanzüge gekleidet sind, an besagten Zelten. Diese sind so miteinander verbunden, dass sie aus der Aufsicht eine Blüte oder ein Faltobjekt auf dem Rasen ergeben. Durch synchronisierte Handlungen der Performerinnen wirkt das Gebilde minutenlang wie ein Mund oder ein Lebewesen, bis die Zeltplane in Fetzen auf der Wiese liegt. Obgleich Olivia Wiederkehr sich nicht als politische Künstlerin versteht, lassen sich ihre Arbeiten durchaus politisch lesen. Doch sie arbeitet nicht in Bronze, ihre Installationen und Performances sind wie flüchtige Gedanken, nicht wirkungslos, aber behaupten keine dauernde Gültigkeit für sich. Aber wenn sich etwas von Literatur und dem Theater lernen lässt, dann, Möglichkeitsräume nicht zu unterschätzen.