Kafka. 1924: Auf den Spuren namenloser Bedrohlichkeit

Kafka Gursky
Andreas Gursky, Pförtner, Passkontrolle, 1982, Courtesy Sprüth Magers © Andreas Gursky / VG Bild-Kunst
Review > München > Museum Villa Stuck
19. Dezember 2023
Text: Jürgen Moises

Kafka: 1924.
Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, München.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 11. Februar 2024.
www.villastuck.de

Kafka Lassnig
Maria Lassnig, Erniedrigte und Beleidigte, 2022, Städtische Galerie im Lenbachhaus und KunstbauMünchen, Sammlung KiCo
Kafka Miller Bures
Janett Cardiff & George Bures Miller, The Killing Machine, 2007, Sammlung Goetz, München

Auf unergründliche Weise bedrohlich. So wird das Adjektiv „kafkaesk“ im Duden erklärt. Das erste Mal tauchte es dort im Jahr 1973 auf. Aber damals noch als eine „innerliterarische“ Bezeichnung, die sich auf bestimmte Merkmale in den Texten von Franz Kafka bezieht. Dessen Todestag jährt sich 2024 zum einhundertsten Mal. Und es wäre interessant zu wissen, was der mit 40 Jahren an Tuberkulose verstorbene Schriftsteller zu dem nach ihm benannten Adjektiv gesagt hätte. Wobei Kafka heute wohl auch seine Bekanntheit überraschen würde, die ihm nun in der Münchner Villa Stuck anlässlich seines runden Todestags eine umfangreiche Ausstellung beschert. „Kafka: 1924“ heißt die äußerst sehenswerte Schau mit Arbeiten von 35 Künstlerinnen und Künstlern, die sich teils explizit, teils über verwandte Motive auf den Schriftsteller und sein Werk beziehen. Und die dabei natürlich auch einige kafkaeske Momente bereithalten.

Ein solcher scheint auch schon die Lesung von Franz Kafka im Jahr 1916 in der Galerie Goltz in München gewesen zu sein. Von dieser erfährt man relativ am Anfang und davon, dass diese Kafka zufolge ein „großartiger Mißerfolg“ war. Drei weibliche Gäste sollen dabei sogar in Ohnmacht gefallen sein. Der Grund? Die dort vorgetragene Erzählung „In der Strafkolonie“, der in der Ausstellung gleich mehrere Arbeiten gewidmet sind. Der ersten begegnet man im Untergeschoss bei den Schließfächern. Und zwar „In der Strafkolonie to go“, einem Kurzfilm aus Michael Sommers Youtube-Serie „Weltliteratur to go“, in der er literarische Texte mit Playmobil-Figuren nachspielt. Das ist eher die humorvolle Variante, in der Sommer auch Kafkas Lesung und die in Ohnmacht gefallenen Frauen erwähnt.

Bedrohlicher wirkt die „Strafkolonie“-Foltermaschine, die Harald Szeemann 1975 für die Ausstellung „Junggesellenmaschinen“ bauen ließ, und noch etwas drastischer die „Tötungsmaschine“ von Janet Cardiff & George Bures Miller. Die kann man über einen roten Knopf selbst einschalten, dann bewegen sich zu düsterer Musik mit Nadeln bestückte Roboterarme über einem Zahnarztstuhl. Das zugehörige Kapitel heißt „Spitze Nadeln“. Davor hat man erfahren, dass Kafka ein Semester Kunstgeschichte in Prag studiert hat. Man hat zwei kleine Bleistift-Zeichnungen von Kafka gesehen sowie Kunstbände aus dessen Privatbibliothek. Und auf einer großformatigen Fotografie von Jeff Wall konnte man in ein Treppenhaus in Prag blicken. Der Kanadier nahm das Bild 1994 auf, auf der Suche nach dem fiktiven Wesen Odradek aus der Kurzgeschichte „Die Sorge des Hausvaters“. Weitere Kapitel der von Helena Pereña kuratierten Schau heißen „Der Blick nach Innen“, „Inside Out“, „Scham“, „Im Labyrinth“, „Das Amt“ und „Im Verhör“.

Die „niedrigschwellige“ Einleitung geschieht jeweils über Auszüge aus dem Comic „Kafka“ von Robert Crumb und David Zane Mairowitz. Und als Überleitungen kleben Kafka-Zitate an der Wand. Bei „Der Blick nach Innen“ geht es im Comic um die Krankheiten von Kafka, und passend dazu wird das Bildertagebuch „Mercy Hospital“ von Ida Applebroog gezeigt. Darin verarbeitete die Ende Oktober verstorbene Künstlerin mit surrealen Zeichnungen eine psychische Krise. „Die Verwandlung“, Kafkas bekannteste Erzählung, ist im Kapitel „Inside Out“ Thema. Teresa Hubbard und Alexander Birchler setzen dort in „Gregor‘s Room“ dessen Paranoia fotografisch in Szene. Die 1922 verstorbene Paula Rego verhandelt auf ihren faszinierenden, magisch-realistischen Radierungen unter anderem das Thema Scham. Und in Louise Bourgeois‘ „Ode an die Mutter“ ist eine Spinne das zentrale Motiv, wobei diese als Beschützerin hier positiv besetzt ist. Ins „Labyrinth“ führt unter anderen Thomas Schütte mit seinem Modell eines Kellers. Und nach David Claerbout amtlichem „Schattenstück“ geht es bei David Rych und Franz Wanner ins „Verhör“ und dann in Sebastian Jungs „Kafkaeskes Jugendzimmer“. Das wirkt vor allem überladen und verschroben. Bei den KI-generierten Bildern, wo man Franz Kafka neben Angela Merkel oder Donald Trump sieht, wird es aber dann doch wieder recht unheimlich, sprich kafkaesk. Vielleicht gibt es im Duden  ja bald das Wort „KI-esk“ als Synonym?