Anna Gohmert: Die eigene Haut als Landkarte

Anna Gohmert, aus der Serie: Die Schatten der Antike, 2010, Courtesy the artist, © Anna Gohmert & 2023 VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Eos Goldbrunner
Porträt
Text: Eos Goldbrunner

Anna Gohmert: Schatten der Antike,
zu sehen in der Ausstellung Tattoos, Kunst auf dem Körper im Rahmen der Regionale 24,

Galerie für Gegenwartskunst im E-Werk,
Eschholzstr. 77, Freiburg.
Bis 7. Januar 2024

gegenwartskunst-freiburg.de

annagohmert.de

regionale.org

Anna Gohmert, aus der Serie: Die Schatten der Antike, 2010, Courtesy the artist, © Anna Gohmert & 2023 VG Bild-Kunst, Bonn, Foto: Eos Goldbrunner

Eine schmale Treppe führt in das Untergeschoss des E-Werks, ein niedriger Raum, weiß ausgeleuchtet in kühlem Licht. Warm eingepackt im gelben Wintermantel, mischt sich Anna Gohmert unter die Besuchenden und schlendert an vier Selbstporträts im Bikini entlang. Die Fotografien zeigen ihren Körper im blauen Zweiteiler – selbstbewusst, lässig, sonnenverbrannt.

Auf ihm zeichnen sich die Umrisse von Bauten ab, helle Aussparungen auf ansonsten rötlich gebräunter Haut. Die Arbeit „Schatten der Antike“ entstand im Jahr 2010 im Rahmen einer Exkursion mit Christian Jankowski nach Rom. Sie studierte damals in seiner Klasse an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Unter dem Motto „Rome is our Gallery“ sollten Werke entstehen, die thematisch in den öffentlichen Raum eingriffen. Gohmert entwickelt eine Performance, in der sie sich in die Rolle einer Reiseführerin begibt. In der glühenden Hitze des Sommers zieht sie mit ihrer Gruppe durch die Stadt, um gemeinsam die Kunstwerke ihrer Kommiliton:innen zu studieren.

Unerwartet schlägt sie mitten auf der Straße ein Handtuch auf und beginnt ihre Kleidung abzulegen. Unter den Textilschichten zeigen sich jene Negativformen, die nun in der Galerie für Gegenwartskunst im Freiburger E-Werk zu sehen sind. Die Embleme haben die Formen von Roms bekannten Sehenswürdigkeiten. Mit dem gleichen Ton in der Stimme wie zuvor setzt Gohmert die Stadtführung nun fort – nur diesmal direkt auf ihrem Körper. Sie erinnert sich im Gespräch: „Das Kolosseum wurde zum Armreif, der Tempel der Juno zur Halskette, die Fontana di Trevi war hinten auf dem Rücken zu sehen, der Petersdom vorne auf der Brust, Romulus und Remus saßen auf dem Oberschenkel, ansetzend an die Bikinizone, an den Geburtskanal. Auf der Wade war die Trajan-Säule, dann war Schluss.“ Danach bekleidete sich Gohmert damals wieder und machte mit der Führung weiter, dieses Mal wieder mit Blick auf die Stadt.

Mit „Schatten der Antike“ verwandelte sie ihren Körper in eine Landkarte, auf der sie die antiken Ruinen neu arrangierte. Mit den selbst hergestellten Aufklebern setzte sie sich zur Vorbereitung Tag für Tag wie bei einem Ritual der sengenden Sonne aus. Die Mischung aus Sonnencreme und Schweiß, die die Sticker wellte oder abrutschen ließ, machte den Prozess nicht leichter. Aber die Sonnenstrahlen taten ihre Wirkung. Sie zeichneten die Kontur der Sticker scharf nach. Die Negative sind für immer eingebrannt in ihre Zellsubstanz, auch wenn sie auf der sich schälenden und heilenden Haut nur temporär sichtbar waren.

Im Winter 2010 reinszenierte Anna Gohmert ihre Performance für die Kamera. Zur Vorbereitung ging sie diesmal ins Solarium, mit ähnlichem Effekt. Es entstanden mehrere Selbstporträts, Ganzkörper- und Nahaufnahmen, die sie in Objektrahmen als Akt des dokumentarischen Festhaltens präsentierte.

Gohmerts Arbeit hat etwas vom Mitbringen eines Souvenirs, sei es einer Muschel vom Strand, eines Landschaftsfotos oder eines Tattoos unter der Haut. Zugleich, sagt sie, möchte sie damit auf die Absurdität des Schmückens des eigenen Körpers aufmerksam machen: „Wenn man in fremden Städten ist, geht man oft zu diesen Sehenswürdigkeiten, die eigentlich nur noch Ruinen ihrer selbst sind. Man steht lange in der Schlange, hat meistens einen Sonnenbrand, ist genervt von tausend anderen Touristinnen und Touristen. Was aber zählt, ist: Man war an diesem wichtigen Ort, schreibt eine Postkarte und sagt allen: Ich war da“. Gohmert lacht. „Von diesem weißen Fleck der Geschichte wissen wir selbst nicht so viel und trotzdem gehen wir immer wieder zu diesen Orten und fabulieren, was dort passiert ist.“ Die Rollen sind klar verteilt. Die Touristi:nnen nehmen Teil an der Erinnerung an diesen Ort. Doch die Ruinen interessieren sich nicht für Gohmerts körperliche Auseinandersetzung mit Fragen dem Tourismus. Und genauso sind auch wir ihnen egal und der Sonne sowieso – wer sich nicht eincremt, tut sich weh.

Anna Gohmert verwebt in ihren Arbeiten oft präzise Beobachtungen zu komplexen Themen mit eigenen Erfahrungen. Da bildet „Schatten der Antike“ keine Ausnahme. Auch wenn ein Schatten primär keine negative Konnotation hat, kann diese in der metaphorischen Bedeutung mitschwingen. Was zunächst vielleicht eindimensional erscheinen mag, kann eine enorme Tiefe entfalten. Ein Beispiel dafür ist das Thema Verausgabung. Sich für die Kunst wiederholt einen Sonnenbrand zuzuziehen, geht mit Schmerzen einher. Sich dabei zu fotografieren, stellt eine große Nähe her. „Den eigenen Körper so auszustellen, ist ein äußerst selbstbestimmter, emanzipatorischer Akt“, sagt Gohmert. „Zugleich ist es eine spannende Erfahrung, sich bewusst den Blicken anderer auszusetzen. Man kommt da um bestimmte Diskurse nicht herum, zum Beispiel, wie der male gaze den weiblichen Akt in der Kunstgeschichte geprägt hat und prägt. So gesehen bewege ich mich in einem ähnlichen Feld und provoziere etwas Ähnliches, auch wenn es keine Akte sind.“

Der Strudel der Ausstellung treibt uns weiter in das Untergeschoss des E-Werks. Stimmig fügt sich die Serie von Anna Gohmert hier in die aktuelle Regionale-Ausstellung mit dem Titel „Tattoos, Kunst auf dem Körper“. Es sind Bilder, die unter die Haut gehen.

Dieser Text entstand im Rahmen der Übung „Kunstkritik: Zeitgenössische Kunst zum Sprechen bringen“ im WS 2023/24 am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg.

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