Erzählen vom Krieg, vom Bauhaus und vom Zeichnen

Lesha Berezovskiy
Lesha Berezovskiy, o.T., 2022, aus: We Stay, 2023, Courtesy the artist
Bücher
20. November 2023
Text: Dietrich Roeschmann

Lesha Berezovskiy: We Stay.
Sturm & Drang, Zürich 2023, 136 S., 48 Euro | ca. 48 Franken
Die Fensterbank in der Küche von Lesha Berezovskiy ist ein friedlicher Ort. Blumen, Gläser, ein Radio und andere Alltagsdinge fügen sich hier zu immer neuen Stillleben. Nur das Klebeband, das die Scheiben dahinter zusammenhält, erzählt vom Krieg, der draußen tobt. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine dokumentiert der 32-jährige Fotograf in berührenden, sehr persönlichen Bildern und Texten für das Schweizer Online-Magazin „Republik“ die fragile Normalität des Alltags im Ausnahmezustand. „We Stay“ versammelt eine Auswahl dieser Bilder.

50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus.
Spector Books, Leipzig 2023, 688 S., 46 Euro | ca. 62.90 Franken

Manche Geschichten halten sich hartnäckig. Selbst dann noch, wenn die Unstimmigkeiten längst offensichtlich und die Beweise, dass alles doch ganz anders war, erdrückend sind. Eine solche Geschichte wird gerne über das Bauhaus erzählt, der angeblichen Wiege von Demokratie, Transparenz und Egalität in der Architektur und in den angewandten Künsten. Weil es Offenheit und Zukunft repräsentierte statt an Grenzen und Traditionen zu hängen, wurde es von den Liberalen gefeiert und von den Konservativen gehasst. So geht zumindest die Legende. Das wohl wichtigste Ereignis, das dieses positive Image im breiten Bewusstsein verankerte, war die Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“, die 1968 im Württembergischen Kunstverein eröffnete und anschließend weltweit durch acht Länder tourte. Vor fünf Jahren widmete sich an gleichem Ort eine von Iris Dressler und Hans D. Christ kuratierte Ausstellung der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte dieser ersten Bauhaus-Jubiläumsschau von 1968. Das Duo erzählte hier anhand zahlreicher Dokumente, Fotos, Plakate, Archivalien und künstlerischen Arbeiten die Geschichte der gezielten Entpolitisierung der Bauhaus-Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg, finanziert vom Auswärtigen Amt in Bonn. Unter anderem wiesen sie darauf hin, dass herausragende Protagonisten wie Oskar Schlemmer, Ludwig Mies van der Rohe oder Johannes Itten keineswegs ein eindeutig ablehnendes Verhältnis zu den Nazis hatten. Andere Ex-Bauhäusler waren ab den späten 1930er Jahren als Experten für rationales Bauen an der Planung von Konzentrationslagern beteiligt. Darüber hinaus zeigten Dressler und Christ, wie 1968 bei der staatstragenden Kanonisierung des Bauhaus wichtige Akteur:innen der Entwicklung der Nachkriegsmoderne in Deutschland und Europa schlicht ignoriert wurden, darunter nicht nur ideologiekritische Subversive wie die Situationisten, sondern auch die renommierte, 1953 gegründete Ulmer Hochschule für Gestaltung. Nun ist endlich der Katalog zu der viel beachteten Ausstellung von 2018 erschienen – ein reich bebilderter 680-Seiten-Wälzer, der detailliert die blinden Flecken in der kollektiven Bauhaus-Erinnerung dokumentiert und zugleich versteckten Pfaden in Underground-Avantgarden folgt.

Maja Rieder: YAKARI.
modo Verlag, Freiburg 2023, 64 S., 25 Euro | ca. 37.90 Franken

Maja Rieder mag das Unvorhersehbare, das mit jeder Zeichnung entsteht, das Unabsichtliche, das die Absicht begleitet und belebt. „Zeichnen ist Bewegung meines Körpers“, sagt sie, „Zeichnen ist Übertragen von Energie“. Schön zu sehen ist das in ihrem jüngsten Band „YAKARI“. Die Unschärfe des Titels ist Programm: Er könnte sich auf eine Schweizer Kinderzeichentrickserie aus den 1970er beziehen oder auf einen japanischen Mädchennamen. Formal erinnern die einzelnen Buchstaben an die Elemente, aus denen Rieder ihre großformatigen Tuschezeichnungen entstehen lässt, ausgehend von der Diagonale als einfachster Geste, um ein weißes Blatt Papier zu füllen. Mit breitem Pinsel trägt die Künstlerin die leuchtenden Farben Schicht um Schicht auf, so dass sie sich zu kreuz- oder rautenförmigen Linienlabyrinthen sortieren, dicht und durchlässig zugleich. Rieder hängt sie an die Wand oder in den Raum, faltet sie entlang der Farbkarten zu zarten Reliefs oder baut Häuser aus ihnen, die auf Holzgerüs­ten balancieren. Dass das Katalogformat den räumlichen Charakter von Riegers Arbeiten physisch nicht erfahrbar machen kann, ist schade, liegt aber nahe. So gesehen lässt sich dieser kleine Band als schöne Aufforderung verstehen, diese Erfahrung nachzuholen sobald sich die Gelegenheit dazu bietet.