Not my Circus – not my Monkeys. Das Motiv des Zirkus in der zeitgenössischen Kunst: Ohne Elefanten

Not my circus
Kathryn Andrews, Collapse, 2023, Foto: David Aebi © courtesy the artist &  Kunstmuseum Thun
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13. November 2023
Text: Annette Hoffmann

Not my Circus, not my Monkeys. Das Motiv des Zirkus in der zeitgenössischen Kunst.
Kunstmuseum Thun, Hofstettenstr. 14, Thun.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 19.00 Uhr.
Katalog im Hirmer Verlag, 32 Euro | ca. 46.90 Franken.
Bis 3. Dezember 2023.
www.kunstmuseumthun.ch

Not my circus
Mona Broschár, Zirkuswurst, 2023, Courtesy the artist, Foto: Gustav Franz
Not my circus
Norbert Tadeusz, Bewegungsbild Rasierschaum, 1987, © Courtesy Norbert Tadeusz Estate, Petra Lemmerz, Foto: Norbert Tadeusz Estate

Es ist ein sprechendes Bild, dass ein kollabiertes Zelt im eigentlichen Zentrum der Ausstellung „Not my Circus, not my Monkeys. Das Motiv des Zirkus in der zeitgenössischen Kunst“ steht. Im Kunstmuseum Thun versperrt Kathryn Andrews‘ Arbeit „Collapse“ den Durchgang. Vom teilweise verglasten Gang schaut man auf die charakteristisch rot-weiß gestreifte Plane, an den Scheiben hängen Reproduktionen von historischen Aufnahmen. Mal sieht man Rauch, mal scheint das Zirkuszelt zusammengebrochen zu sein. Die Menschen nähern und entfernen sich vom Unglücksort mit einer gewissen Angstlust. Andere Werke des Ausstellungsparcours haben diesen Anblick schon fast überdeckt, doch dann ereilt die Installation von Andrews (*1973) die Besucherinnen und Besucher ein weiteres Mal. Nun sieht man in das Innere des Zelts, auf den Mast mit Querstreben, auf dem lauter gepolsterte Clownsköpfe aus Stoff stecken mit roten, weißen und blauen Fransenhaaren und einem verzerrten Mund. Es sind Freaks, auf die wir schauen. Doch wer sieht überhaupt wen an? Eine Manege ist keine Guckkas­tenbühne, sie ist nicht dazu gedacht, sich vom Geschehen zu distanzieren. Als Zuschauer – und daran erinnert diese kurzweilige und sorgfältig kuratierte Ausstellung, sind wir immer Teil dessen, was passiert.

Der Titel „Not my Circus, not my Monkeys“ ist, laut dem Katalog, der auf kluge Weise in Texten und Aufmachung das Thema fortführt, einem polnischen Sprichwort entlehnt. Und wirklich gibt es vieles, für das man nicht zur Verantwortung gezogen werden will. Das Weltgeschehen, aber eben auch der Umgang mit Tieren in Zirkussen. Artgerecht ist dieser nicht und mehr als einmal stellt sich ein unangenehmes Gefühl ein. So etwa bei Istvan Baloghs (*1962) Fotoarbeit „Monkey with Lemon“. Auf den vier Aufnahmen sieht man ein Kapuzineräffchen, das zierlich eine Zitrone aus einer entgegengestreckten Hand nimmt, mit ihr zu spielen scheint und die Zitronenhälfte sich auf den Kopf setzt. Was ist hier antrainiert, was erfüllt unsere Erwartungen und gibt es Momente, in denen das Tier einfach Tier sein kann? Ins Groteske wendet Augustin Rebetez (*1986) das Zurschaustellen von Tieren in seinem Film „Happy Monkey“. Die Geschichte, die er in verruckelten Schwarz-Weiß-Bildern im Stop-Motion-Verfahren erzählt, könnte ein Bänkelsang sein oder ein früher Film, jedenfalls wäre ein Jahrmarkt ein passender Ort. Nachdem der verängstigte Affe den Befehlen des Zirkusdirektors nicht folgt, verkauft er ihn kurzerhand an einen Koch, für den das Ganze nicht gut ausgeht (alle Rollen: Martin Zimmermann). Auch die reale Geschichte vom Zirkuselefanten, der 1866 erst seinen Tierpfleger tötet, dann Murten unsicher macht und schließlich erschossen wird, zeigt, dass hier etwas von Grund auf im Argen liegt. Nur im Traum scheint eine unschuldige Nähe zwischen Menschen und Bestie möglich. In Zilla Leuteneggers (*1968) Animation „Polar Bear“ küsst und streichelt ein Mädchen, das eigens dafür auf einen Hocker gestiegen ist, einen Eisbären. In der Ausstellung scheint es nie weit zur Verkörperung des Bösen – oder dessen Bannung – im Clown. Eine Clownsskulptur von Ugo Rondinone (*1964) lehnt in Thun mit geschlossenen Augen an der Wand, den Rupfenstoff wie einen Haute Couture-Anzug tragend. Und bei Mona Broschár (*1985) hat sich das dämonische Lachen des Clowns zur Keramik-Wurst mit Gebiss verselbstständigt. Kulturelle und politische Geschichte verbindet sich hingegen in Taus Makhachevas (*1983) Video „Tightrope“. Und Seiltänzer scheinen in dem abgelegenen Kaukasusdorf Tsovkra in Dagestan fast alle zu sein. Der Artist Rasul Abakarov balanciert in diesem gut einstündigen Film Reproduktionen von Gemälden und Zeichnungen über ein Seil, das über einer Felsspalte zwischen zwei Plateaus gespannt ist. Der Wind pfeift und mal klemmt Abakarov die Bilder an die Stange, mal hält er sie vor seinen Körper. Auf der anderen Seite ordnet er sie in ein Gestell ein. Makhacheva greift die Seiltanztradition dieser Region auf, um die Schwierigkeiten der Ausbildung einer eigenen Identität mittels Kunst und der Aneignung von Geschichte zu versinnbildlichen. Das wirkt waghalsig, aber zeigt auch etwas von der Freiheit, die in der Überwindung von Angst liegt.