Temitayo Ogunbiyi

Temitayo Ogunbiyi
Playground – You will follow the Rhein and compose play in Solitude Park, 2023, © Museum Tinguely, Foto: Matthias Willi
Porträt
10. November 2023
Text: Dietrich Roeschmann

Temitayo Ogunbiyi: You will follow the Rhein and compose play.
Museum Tinguely, Paul-Sacher-Anlage 1, Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 14. Januar 2024.
www.tinguely.ch
temitayo.com

Temitayo Ogunbiyi, You will hands up, 2019, © Courtesy the artist
Temitayo Ogunbiyi
Temitayo Ogunbiyi, You will find new framing in crafts of old (Detail), 2023, © Courtesy the artist
Temitayo Ogunbiyi
Temitayo Ogunbiyi, You will find a spirit within all that is living, 2019, © Courtesy the artist

Seit Mai 2023 wachsen auf der Wiese vor dem Basler Museum Tinguely gut ein halbes Dutzend chaotisch gewundener Stahlrohre aus dem Boden, fest umwickelt mit Sisalschnur. Bei gutem Wetter turnen Kinder darauf herum, unbelebt erinnern sie entfernt an Mangrovenwurzeln. Temitayo Ogunbiyi, die den Spielskulpturenpark im Rahmen des diesjährigen Culturescape-Festivals mit Fokus auf die Sahara-Region installierte, lebt seit über zehn Jahren in Lagos. 1984 in Rochester, New York, geboren, studierte sie zunächst Kunstgeschichte in Princeton und an der Columbia University, bevor sie 2011 nach Nigeria zog und dort begann, künstlerisch zu arbeiten. Der Kontrast zwischen den Lebenswirklichkeiten an der US-amerikanischen Ostküste und in der Megalopole am Golf von Guinea prägte ihren Blick für die Beziehung zwischen der künstlerischen Arbeit und dem Raum, in dem und für den sie entsteht. Ogunbiyi weiß: kein Raum ist voraussetzungslos, sondern markiert immer einen Schnittpunkt unterschiedlicher historischer, kultureller, wirtschaftlicher oder identitätspolitischer Erzählungen und Interessen.

In ihren Zeichnungen und Installationen macht sich Ogunbiyi auf die Suche nach solchen Verwicklungen, folgt ihren Spuren und stellt dabei konsequent die Idee einer hermetischen Kultur infrage, die Staaten, Klassen oder andere Konstellationen von Macht zur Sicherung ihrer Einflusssphäre propagieren. Dass Ogunbiyi als Ort für diese Auseinandersetzung ausgerechnet den Spielplatz wählt, ist plausibel. Ihre funktionalen Skultpuren versteht sie als Angebot an alle, sich frei und spielerisch im öffentlichen Raum zu bewegen und ihn auf diese Weise als gemeinschaftliches Terrain zu erobern, als Ort der Begegnung, Vermischung und Entgrenzung.

Ihre erste Spielplatzskulptur realisierte Temitayo Ogunbiyi 2017 in Lagos, inspiriert von den Menschen in ihrem Viertel, die in Ermangelung von Spiel- oder Sportplätzen in den Vorstädten begonnen hatten, aus gebrauchten Materialien improvisierte Schaukeln, Klettergerüste oder Fitnessgeräte zusammenzuschrauben. Die Kurven, die ihre Stahlskulpturen in die Luft zeichneten, repräsentierten für sie zugleich Wege des Weltwissens abseits westlicher Kategorien. Auch in ihren aktuellen Arbeiten verknüpft Ogunbiyi Aspekte der Nachhaltigkeit mit Fragen der kollektiven Erinnerung und ihrer beständigen Kontaminierung durch verdrängte, vergessene oder bislang unbemerkte Bedeutungen. In der Frisurenkultur etwa, die der Fotograf J. D. ’Okhai Ojeikere in den 1970er Jahren in seiner berühmten Serie „Hairstyles“ als nigerianisches Erbe feierte, vermischen sich Einflüsse der Yoruba-Tradition und der viktorianischen Mode. Ogunbiyi ist es wichtig, auf solche Zusammenhänge hinzuweisen, um zu zeigen, dass Kultur prinzipell durchlässig und in Bewegung ist. Davon erzählen auch ihre Zeichnungen von Pflanzen, die ebenfalls in Basel zu sehen sind. Sie beruhen auf Ogunbiyis intensiven Recherchen über die Migration und Verbreitung bestimmter, als invasiv beschiebener Arten sowie über ihre unterschiedliche Verwendung in den Küchen und Heilkunden der Regionen ihres Vorkommens. Man könnte darin eine botanische Studie über das kreative politische Potenzial des Invasiven sehen.