WangShui, Toleranzfenster/In anderen Räumen: Vom Environment zur Künstlichen Intelligenz

WangShui
WangShui, Window of Tolerance, Installationsansicht Haus der Kunst 2023, Foto: Milena Wojhan
Review > München > Haus der Kunst
1. November 2023
Text: Jürgen Moises

WangShui: Toleranzfenster.
Bis 14. April 2024.
In anderen Räumen. Environments von Künstler*innen 1956-1976.
Bis 10. März 2024.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München.
Montag, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 10.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr.
www.hausderkunst.de

WangShui
Tsuruko Yamazaki, Red (Shape of Mosquito Net), 1956, Installationsansicht Haus der Kunst, 2023, Foto: Agostino Osio
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Tania Mouraud, We Used to know, 1970-2023, Installationsansicht Haus der Kunst, 2023, Foto: Agostino Osio
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Marta Minujín, ¡Revuélques y viva!, 1964, Installationsansicht Haus der Kunst, 2023, Foto: Agostino Osio

Künstliche Intelligenz wird unsere Gesellschaft grundlegend verändern. Und viele, die damit speziell künstlerisch arbeiten, hätten wohl nicht gedacht, dass das auf den Gebieten Text und Bild bereits schon jetzt sehr intensiv passiert. Nun ist die Frage: Stellt man sich gegen die KI oder versucht man kreativ mit ihr zu arbeiten? So dass es vielleicht nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um die Erschaffung von etwas Neuem, Dritten geht. Wang-

Shui (*1986) hat sich für den letzten Weg entschieden. Das heißt: Der sich als non-binär verstehende, in New York lebende Künstler (für das englische „they“ gibt es noch immer kein Äquivalent) nutzt die KI als Mit-Kreateurin und Mit-Autorin, wie man in der Ausstellung „WangShui. Toleranzfenster“ erfährt. Gezeigt wird sie im Münchner Haus der Kunst, parallel zur neuen Groß-Ausstellung „In anderen Räumen. Environments von Künstler*innen 1956-1976“.

Zwischen beiden Ausstellungen besteht ein gewollter, wenn auch nur vager Bezug. Und zwar dann, wenn man die zentrale, im Auftrag entstandene Live-Simulation „Certainty of the Flesh“ inklusive der Gemälde als Environment ansieht. „Certainty of the Flesh“ verwebt Motive aus der Science-Fiction-Trilogie „Lilith’s Brood” (früher „Xenogenesis”) von Octavia E. Butler mit chinesischer Philosophie und Maschinellem Lernen. Auf drei großen, als Triptychon arrangierten Bildschirmen sowie zwölf kleinen auf der Rückseite sieht man eine Gruppe von nackten, hybriden Gestalten, welche die fünf Qualitäten der Wuxing-Philosophie repräsentieren: Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall. Eine KI simuliert die Gestalten in Echtzeit, das heißt: Sie lässt diese in einer Art Lounge-Umgebung sitzen, tanzen oder springen. Und es fliegen Kissen herum. Durch die schrägen Körper- und Kamerabewegungen schwankt der entstehende Eindruck zwischen bizarr und erotisch. Man könnte die genetischen Experimente von Aliens hineinlesen, die es in „Lilith’s Brood” gibt. Die philosophische Ebene erschließt sich nicht wirklich. Und so bleibt man leicht fasziniert, aber doch etwas ratlos zurück. Gewisse Rätsel geben auch die Gemälde auf. WangShui, der/die eine erste deutsche Solo-Ausstellung 2019 in der Julia Stoschek Collection in Berlin hatte, hat sie mit Sandpapier und Ölfarben auf reflektierendes Aluminium gekratzt und gemalt. Basierend auf eigenen, früheren Motiven, die eine KI neu verarbeitet hat. Vieles ist abstrakt, etwas sieht wie eine Qualle, anderes wie ein Geländer aus. Auf zwei Werken sind goldene Haken angebracht. Durch das Metall entsteht eine zum Teil ganz eigene Farbigkeit. Der schimmernde Glanz verführt, hat wie die Haken aber auch ein Moment der „Kitschigkeit“. Und man fragt sich auch hier: Hat einen die KI am Ende nur durch vordergründige Effekte am Haken?

Sehr effekt- und vor allem verdienstvoll ist auch die Ausstellung „In anderen Räumen“, mit Environments von drei Generationen von Künstlerinnen aus Asien, Europa sowie Nord- und Südamerika. Angefangen mit „Red (Shape of Mosquito Net)“ von Tsuruko Yamazaki, deren rotes Vinylzelt ursprünglich an Bäumen in einem öffentlichen Park hing, wurden für die von Andrea Lissoni und Marina Pugliese kuratierte Schau zwölf Environments aus den Jahren 1956 bis 1976 rekonstruiert. Erzählt wird damit wie zuvor im Fall von Katalin Ladik, Fujiko Nakaya oder Heidi Bucher eine Art parallele, feministische Kunstgeschichte. Viele Werke sind immersiv, interaktiv und haben eine emanzipatorische Stoßrichtung. Und für sich alleine wirken Arbeiten wie Lygia Clarks „A casa é o corpo“ auch heute noch sehr intensiv. Werke wie Aleksandra Kasubas aus riesigen, neonfarbigen Nylonröhren bestehende „Spectral Passage“ sind ohne Frage auch sehr „instagrammable“. Und beim kompletten Durchgang entsteht dann aber doch etwas der Eindruck eines Erlebnis- oder Hindernis-Parcours. Dass viele Besucher darauf mit einer kindlichen Experimentierfreude reagieren, ist wiederum schön zu sehen. Nur könnte es passieren, dass dabei die ernsten Themen etwas auf der Strecke bleiben.