Anna Uddenberg

Anna Uddenberg
Anna Uddenberg, Installationsansicht Schinkel Pavillon, Berlin 2022, Foto: Frank Sperling, Courtesy the artist, Schinkel Pavillon & Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin
Porträt
31. Oktober 2023
Text: Dietrich Roeschmann

Anna Uddenberg: Premium Economy.
Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, Mannheim.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
29. September 2023 bis 21. April 2024.
www.kuma.art
Works 2010-2023, Distanz Verlag, Berlin 2023, 34 Euro | 52.90 Franken.

Anna Uddenberg
Anna Uddenberg, Detail (l.) und Installationsansicht (r.), Meredith Rosen Gallery, New York, 2023, Performerinnen: Sallyvon Rosen, Madalina Stanescu, Foto: Dario Lasagni, Courtesy the artist, Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin & Meredith Rosen Gallery, New York
Anna Uddenberg
Anna Uddenberg, CLIMBER, 2019, Detail, Foto: Gunter Lepkowski, Courtesy the artist & Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin

Um zu begreifen wie eng Technologie und Körper heute miteinander verbunden sind, reicht es völlig aus, ein paar Minuten an einem Ort zu verbringen, an dem gewartet wird. Bis der Arzt zum Gespräch bittet, die Straßenbahn das Ziel erreicht, die eben gezogene Nummer im Amt auf dem Display erscheint – worauf auch immer. In der Regel sitzt dann dort locker verstreut eine Gruppe von Menschen, die sich über ihre Smartphones beugen. Die durch ausgiebige Handynutzung verursachten Nackenprobleme und unerwünschten Effekte wie Halsfalten werden mittlerweile unter eigenem Namen zusammengefasst: Tech Neck.

Für Anna Uddenberg berührt diese Beobachtung einen wichtigen Aspekt ihrer künstlerischen Arbeit. Was die 1982 in Stockholm geborene Künstlerin interessiert, ist die Frage, warum wir der festen Überzeugung sind, die Kontrolle über die Wirklichkeit zu haben, während wir tatsächlich kaum mehr tun, als die Daten zu liefern, die den Algorithmus füttern, welcher eine Wirklichkeit kreiert, die sich mehr und mehr unserem Einfluss entzieht. Der Tech Neck ist dafür nur einer von vielen Belegen. Technologie lässt sich nicht nutzen, ohne dass sie unser Verhalten und unsere Körper verändert. Uddenberg thematisiert das in ihren Skulpturen, die wie ergonomisch geformte Trainingsgeräte aus einem retrofuturistischen Work-Out-Studio wirken. In ihrer jüngsten Soloschau „Continental Breakfast“ in der New Yorker Galerie Meredith Rosen ließ sie solche seltsamen High-Tech-Apparaturen von Perfomerinnen in Businesskostümen bespielen, die zugleich dafür zuständig waren, das Publikum nach undurchsichtigen Regeln zu schikanieren, endlos warten zu lassen, hinter Absperrungen zu nötigen, zum Schweigen zu zwingen. Die Handlungen hatten keine andere Funktion als die Ausübung von Kontrolle und Macht – wie „kleine sadistische Interaktionen im bürokratischen Alltag, die scheinbar nur mit der Zeit der Menschen spielen“, wie die Künstlerin im Interview sagt, das der Kurator Samuel Staples für die Monografie „Works 2010-2023“ mit ihr führte, die jetzt anlässlich ihrer Soloschau „Premium Economy“ in der Kunsthalle Mannheim erscheint. In Mannheim wurde sie 2021 auch mit dem den renommierten Hectorpreis ausgezeichnet.

Anna Uddenberg, die an der Frankfurter Städelschule und der Königlichen Akademie der freien Künste in Stockholm studierte, setzt sich in ihrer Kunst mit dem Verhältnis von Körper, Geschlecht und Warenästhetik auseinander. Ihre frühen Arbeiten waren inspiriert von Judith Butlers Idee, dass Sprache die Sprechenden formt, wir also eher durch sie dargestellt werden als sie selbst wirklich zu beherrschen. Spätere Arbeiten untersuchten das Konzept des „authentischen Selbst“ als Resultat einstudierbarer Gesten, die ihre Protagonist:innen echt und glaubwürdig erscheinen lassen, das Persönliche dabei aber nachhaltig eliminieren. In ihrer viel beachteten Soloschau „Fake-Estate“ im Berliner Schinkel Pavillon schließlich präsentierte Uddenberg 2022 kokonartige, technoide Skulpturen als eine Art Ruhegestelle für Menschen im Regressionsmodus angesichts der Überforderungen im digitalen Kapitalismus. Dass alle Performer Windeln trugen, ließ sich da als böser Kommentar zur zunehmenden Infantilisierung einer Gesellschaft verstehen, die die Kontrolle über ihr Handeln und ihre Entscheidungen längst an „benutzerfreundliche“ Technologien abgegeben hat.