Noor Abarafeh.
Kunstverein München, Galeriestr. 3, München.
Dienstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 19. November 2023.
www.kunstverein-muenchen.de
Wenn der Träumende stirbt, was passiert dann mit dem Traum? Und wenn etwas verschwindet oder wir etwas verlieren: Wird es dann in unserer Erinnerung zu etwas Anderem? Solche ungewöhnlichen Fragen stellt Noor Abuarafeh derzeit im Kunstverein München, wo die Ausstellung „Resistive Narratives“ der palästinensischen Künstlerin zu sehen ist. Gezeigt werden essayistische Kurzfilme und eine kleine Installation, die sich thematisch, man kann es erraten, um das Thema der Erinnerung drehen. Das betrifft sowohl das private als auch das öffentliche Erinnern, persönliche Erzählungen ebenso wie die offizielle Geschichtsschreibung. Dabei stellt die 1986 in Jerusalem geborene und dort heute abwechselnd mit Rotterdam lebende Künstlerin auf oft poetische, eindringliche Weise unter anderem die Aufteilung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft infrage.
Den Hintergrund für ihre meist in kleinen Holzhäuschen präsentierten Videos bildet die palästinensische Kultur- und Kunstgeschichte. Zumindest das, was es konkret oder in der Erinnerung von Zeitzeugen davon zu fassen gibt. Denn das ist ein zentrales, in den Off-Texten von Abuarafeh immer wieder angedeutetes Problem: So etwas wie ein institutionalisiertes Archiv für palästinensische Kunst gibt es nicht. Deshalb, aber auch aus anderen historischen Gründen gingen viele wichtige Kunstwerke oder Dokumente verloren. Einigen davon spürt Abuarafeh hier nach. Und dann sind da noch rätselhafte Phänomene und Objekte, wie sie etwa „The Magic of the Photo That Remembers How To Forget“ von 2018 thematisiert. Darin geht es um ein Gruppenfoto, das 1985 bei einer Ausstellung in Jerusalem entstand.
Das Rätsel: Mit Suliman Mansour fehlt darauf ein Künstler und Abuarafeh kann nicht sagen, wieso. Dafür entdeckt sie auf dem Foto ein Gemälde mit einer Mauer, die 1985 noch nicht existierte. Wurde das Foto retuschiert oder sind genauso wie menschliche auch fotografische Erinnerungen fehlbar? In einem Video von 2014 sind Suliman Mansour und das Foto bereits Thema. Mit dem Unterschied, dass Mansour als Geist hier aus dem Off spricht. In einer Arbeit von 2018 geht es um Besuche, die Abuarafeh in Zoos und Tierpräparatorien in Palästina, der Schweiz und Ägypten unternahm. Hier ist eine der Fragen, ob Zoos als „Tiersammlungen“ nicht am Ende genauso wie Museen funktionieren. „The Moon is a Sun Returning as a Ghost“ heißt das neueste Video von 2023, das sich als Teil eines Langzeitprojekts mit einer von 17 historischen Ausstellungen palästinensischer Künstler außerhalb von Palästina befasst. Die Crux: Viele der Kunstwerke fanden wegen organisatorischer Mängel oder Unterschlagung nie mehr zurück. Seitdem irren sie als „Asylsuchende“ irgendwo in Depots oder Lagerhallen umher oder als Geister in Erinnerungen und Geschichten.