Stranger in the Village. Rassismus im Spiegel von James Baldwin: In die Geschichte einschreiben

James Baldwin
Glenn Ligon, Stranger #94, 2022, Courtesy the artist, Hauser & Wirth, New York, Thomas Dane, London & Galerie Chantal Crousel, Paris
Review > Aarau > Aargauer Kunsthaus
27. Oktober 2023
Text: Annette Hoffmann

Stranger in the Village. Rassismus im Spiegel von James Baldwin.
Aargaur Kunsthaus, Aargauerplatz, Aarau.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 7. Januar 2024.
www.aargauerkunsthaus.ch

James Baldwin
Pierre Koralnik, Une étranger dans le village, 1962, Videostill, Courtesy the artist, ©  RTS Radio Télévision Suisse
James Baldwin
Sasha Huber, The Firsts – James Baldwin (1924-1987), Leukerbad, 2018, Courtesy the artist, © 2023, ProLitteris, Zürich, Foto: Siro Micheroli

Selbst unter widrigen Umständen zeigt dieser Mann noch Stil. Als Pierre Koralnik 1962 für das Westschweizer Fernsehen einen Film über James Baldwins Aufenthalt in Leukerbad gut zehn Jahre zuvor dreht und über die Umstände, die zu dessen Essay „Stranger in the Village“ führten, kehrt dieser in die 600 Seelen-Gemeinde zurück. Auf Einladung seines Freundes Lucien Happersberger, dessen Familie dort ein Chalet besitzt, hatte er während eines Aufenthaltes im Winter 1952 seinen ersten Roman „Go tell it on the Montain“ geschrieben. Zehn Jahre später ist der Schnee hoch, Baldwin trägt einen Winterpullover mit Norweger­mus­ter. Und auch diesmal ist etwas von der reservierten Freundlichkeit Baldwins zu spüren, mit der er die oft übergriffige Neugierde der Dorfbewohner an sich abprallen lässt. Er wird sehr genau die Reaktionen der Einheimischen registrieren und Leukerbad als Folie für jenen Rassismus nehmen, den er in den USA erlebte. Wohl wissend, dass es ausgewanderte Europäer waren, die den Schwarzen, die sie in Amerika erstmals trafen, mindestens mit Ressentiments begegneten.

Im Aargauer Kunsthaus setzt die Ausstellung „Stranger in the Village“ mit Koralniks Film ein, der sich die Zeit nimmt, den Essay einzuspielen. Zitate aus ihm werden jeweils die Räume der Ausstellung einleiten, die etwa mit „Ausgrenzung/ Zugehörigkeit“, „Menschliche Wesen“ oder „In der Geschichte gefangen“ überschrieben sind. Baldwins Strickpulli jedoch begegnet uns gleich im zweiten Raum in einer Arbeit von Sasha Huber. Die 1975 in Zürich geborene Huber, die schweizerisch-haitianische Wurzeln hat, machte sich vor einigen Jahren zu einer Baldwin-Erinnerungstour ins Wallis auf. Da sie keine Spuren des bedeutenden Intellektuellen in Leukerbad fand, hinterließ sie welche. Mit einer Tackerpistole zeichnet sie ein Porträt Baldwins auf einen Fensterladen. Die Metallklammern bilden Baldwins Gesichtszüge und das Rautenmuster seines Pullis. In einem Radiobeitrag hat Huber den Tacker als eine Waffe benannt, zudem ist er eine Art Echo auf die Schreibmaschine Baldwins, die aus seiner Wohnung klapperte. Glenn Ligon wiederum hat Passagen des Textes mit Ölstick und schwarzem Gesso auf weiße, beziehungsweise auf schwarz grundierte Leinwand mit Weiß geschrieben. Es wirkt als sei der Essay die Folie für alles andere.

Zumindest für die Ausstellung ist das so. Es wirkt nicht zufällig, dass das Aargauer Kunsthaus mit dieser Ausstellung nach kurzer Sanierung wiedereröffnet wird. Es erinnert an ein Ritual der Selbstbefragung. Denn das Selbstverständnis schweizerischer Kunstinstitutionen hat Risse bekommen. Die Auseinandersetzung mit dem Erbe Gurlitts am Kunstmuseum Bern hat für Veränderungen gesorgt. Im Kunsthaus Zürich etwa ist der Umgang mit der umstrittenen Sammlung Bührle nicht mehr ganz so robust. In Aarau hat man sich von einem Advisory Board beraten lassen, dessen Mitglieder in einem Video zu Wort kommen. Und so fragt die Ausstellung nach Ausgrenzung und alltäglichem Rassismus heute, aber auch nach der Ankaufspolitik des Hauses. Die junge Zürcherin Sirah Nying hat einer Frau und zwei Männern aus der schwarzen Community zugehört und für ihre Berichte eindrückliche Bilder gefunden. Von Kader Attia sind mehrere Holzköpfe auf Sockeln zu sehen, die nach Fotos verstümmelter Gesichter von Kolonialsoldaten entstanden sind: hier klafft am Hinterkopf eine Kerbe, dort ist ein Antlitz zerschlagen. Gegenüber befindet sich eine großformatige Arbeit Omar Bas aus Kartons, die sich mit dem Postkolonialismus befasst. Interessant wird es vor allem dann, wenn eigene Verstrickungen aufgezeigt werden. Etwa in Denise Bertschis Film „Please ensure the gate is properly closed“ aus dem Jahr 2018, der einen Blick auf die Rolle von Schweizer Expats, die Ungleichheit sowie die sozialen Differenzierungen unter den schwarzen Kapstädtern wirft. Uriel Orlow wiederum hat über die koloniale Geschichte von Pelargonien recherchiert, die unter der falschen Bezeichnung Geranien zu einer Art Schweizer Balkonpflanze wurden. Baldwins Text wird dabei mehr und mehr zum Vorwand, doch das ist vielleicht Symptom. Denn, so Baldwin: „Kein Weg wird Amerikaner zur Schlichtheit dieses europäischen Dorfes zurückführen, in dem Weiße noch immer den Luxus genießen, mich als Fremden zu betrachten“.