From Texture To Temptation: Minimalismus auf der Flucht ins Freie

Hannah Bohnen, Telephone Drawings 7, 8, 5 und 6, 2023, Courtesy the artist
Review > Kiel > Stadtgalerie Kiel
26. Oktober 2023
Text: Julia Lucas

From Texture To Temptation. A Journey Into Surface Abstraction And Ornament.

Stadtgalerie Kiel
Andreas-Gayk-Straße 31, Kiel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.

Bis 26. November 2023.

www.kiel.de

[— artline Nord] Kaltes Neonlicht, weitläufige, weiß gehaltene Ausstellungskojen und ungewöhnliche Blickperspektiven – dies sind die Präsentations-Zutaten, mit der die neue Sonderausstellung in der Stadtgalerie Kiel zubereitet ist. Aktuelle, dezidiert feminine Positionen der Minimal Art zeigt die Gruppenschau, indem sie Arbeiten der Künstlerinnen Silke Radenhausen (*1937), Hannah Bohnen (*1898) und Lucia Bachner (*1993) zu einer stofflich-haptischen Reise anordnet: „From Texture To Temptation. A Journey Into Surface Abstraction And Ornament“.

Minimalismus strebt nach Objektivität, schematischer Klarheit, Logik und Entpersönlichung. So ist zumindest die Definition. Alle diese Merkmale sind in den präsentierten Arbeiten einerseits zu finden, andererseits kehren die Künstlerinnen das Merkmal der Entpersönlichung um und setzen an deren Stelle das Subjektive in ihren Arbeiten. Die großformatigen Stoff-Werke Radenhausens, der ältesten Künstlerin des ausstellenden Trios, bilden die ästhetischen Ausgangspunkte und gleichermaßen das Epizentrum dieses minimalistischen Evolutionstrips. „Grammar of Ornaments“ ist der Werktitel einer Reihe von monumentalen textilen Wandbildern, in denen Radenhausen ein enzyklopädisches Musterbuch von 1856 wiedergibt und verfremdet. Der feminine Zugriff innerhalb der künstlerischen Praxis wird hier deutlich sichtbar, indem die Künstlerin die Maler­leinwand doppelt inhaltlich auflädt. Sie ist Bildträger und gleichermaßen auch das Material der Arbeit selbst, indem imprägniertes, geglättetes und zum Teil gefärbtes Leinen in aufgebauschten, üppigen Taschen, Schlaufen und Faltenwürfen auf dem Keilrahmen ornamental drapiert sind. Das klassisch mit weiblicher Handwerkstätigkeit konnotierte Material Stoff wird bei den aus dem Rahmen heraustretenden Wandbildern umkodiert und hält Einzug in die Sphäre von Hochkunst und Kunstgeschichtsschreibung.

Die großen klaren Skulpturen von Hannah Bohnen sind direkt durch den Ausstellungsort inspiriert. Ihre verschiedenen „Bude 1, 2 und 3“ scheinen dabei allesamt vom tiefen oder hohen Sockel zu rutschen. Mal muss der Betrachterblick tief nach unten gehen, mal weit nach oben, um die in Gips getauchten Schaumstoffplatten, die sich wie zufällig fallengelassene Handtücher oder Vorhänge zeigen, genauer ansehen zu können. Neben ihren weichen Skulpturen zeigt Bohnen ihre „Telephone Drawings“ in unterschiedlichen Formaten. Lucia Bachners akribisch geordnete Kachelbilder greifen den seriellen Charakter der Minimal-Art-Bewegung auf. Indem jedoch immer mal wieder Flüchtigkeit, symbolisiert durch florale Elemente, und verdrehte Pseudoletter auftauchen, wird hier das Monoton-Industrielle durch die persönliche Künstlerinnennote gebrochen und infrage gestellt.