Heidrun Sandbichler, Nachtgesang: Assoziationsfülle

Sandbichler
Heidrun Sandbichler, Nachtgesang, 2023, Ausstellungsansicht Museum Villa Stuck, 2023, Foto: Miro Kuzmanovic
Review > München > Museum Villa Stuck
25. September 2023
Text: Roberta De Righi

Heidrun Sandbichler, Nachtgesang.
Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, München.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, jeden 1. Freitag im Monat 11.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 1. Oktober 2023.
www.villastuck.de

Tinte, immer wieder Tinte, dick und tiefdunkel wie blaues Blut. Glasvitrinen, zur Hälfe mit Tinte gefüllt. Steinplatten, in deren Vertiefungen Tinte glänzt. Leise, düster und schwermütig wirkt Heidrun Sandbichlers Kunst. Unter dem Titel „Nachtgesang“ arrangiert die österreichische Künstlerin minimale, schwer symbolische Interventionen in den historischen Räumen und dem Garten der Münchner Villa Stuck.

Heidrun Sandbichler ist 1970 in Innsbruck geboren und lebt in Rom. Die meisten der Arbeiten, die in ihrer ersten Einzelausstellung in Deutschland derzeit in der Villa Stuck zu sehen sind, stammen aus den Jahren 2008 bis 2021. Drei wurden aktuell für das Haus geschaffen. Im Erdgeschoss sucht Sandbichler Verbindungen zu den Untiefen des Bewusstseins: Im Musikzimmer brachte sie unterm Stuck‘schen Sternenhimmel Platten aus Solnhofener Kalk an, in die sie die imaginäre Abbildung des Erdinneren nach dem „mundus subterraneus“ des Jesuiten und Universalgelehrten Athanasius Kircher von 1665 ritzte. Ihre Anstrengung, in die Unterwelt vorzudringen, setzt sich im Garten fort. Dort scheint ein Maulwurf das Gelände in Besitz genommen zu haben: Elf täuschend echte Erdhügel bedecken die Rasenfläche. Im Vestibül hingegen fängt ein zweifacher Metallgitterkreis die Schlange des Boden­­mosaiks ein. „Eine Arbeit zur allgemeinen Theorie der Dressur“ heißt die Installation, die in der Schwebe zwischen Beklemmung und Eleganz bleibt. Ins Alte Atelier wiederum brachte sie ein winziges Bronze-Gefäß in Gestalt eines Granatapfels. Darin befindet sich ebenfalls Tinte, Sandbichler stellte es als Symbol für das Leben in die goldene Nische von Franz von Stucks „Altar der Sünde“. Daneben platzierte sie eine verrostete Kinderschaukel, die in seltsam harmonisierendem Gegensatz zur opulenten Ausstattung steht. Nebenan, im einstigen Pinselzimmer, schrieb sie über ein Modell der New Yorker Börse das Mussolini zugeschriebene Diktum „Krieg ist ein Wort, das wir nicht fürchten“. Der „Krieg“ selbst wird durch eine rostige Rasierklinge aus Stahl symbolisiert. Und drei Räume weiter lagern 19 verrostete Schlüssel aus dem toskanischen Dorf Sant‘Anna di Stazzema: Sie gehören zu den Räumen, in denen die Bewohner am 12. August 1944 vergeblich Schutz vor massakrierenden Einheiten der „Reichsführer-SS“ suchten, die rund 550 Zivilisten ermordeten, überwiegend Frauen und Kinder. Heidrun Sandbichlers vergeistigte Konzeptkunst besticht durch Assoziationsfülle, Skeptizismus und Konsequenz in der formalen Reduktion. Aber das Raunende, Mahnende strengt an. Dass ein Hasen-skelett mit Blattgold und Honig als Anspielung auf die Beuys-Performance „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ am Ende des düsteren Parcours für Hoffnung sorgen soll, mag nicht recht funktionieren.