1,5 Grad. Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik: Alles hängt mit allem zusammen

1,5 Grad Mannheim
Otobong Nkanga, Unearthed – Twilight, 2021, Foto: Markus Tretter, Courtesy Otobong Nkanga, © Otobong Nkanga, Kunsthaus Bregenz
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13. September 2023
Text: Dietrich Roeschmann

1,5 Grad. Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik.
Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, Mannheim.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 8. Oktober 2023.
www.kuma.art

1,5 Grad Mannheim
Marianna Simnett, Covering (bloodstock), 2020, Foto: Henning Krause, Courtesy Marianna Simnett, Société, Berlin © Marianna Simnett
1,5 Grad Mannheim
Julian Charrière, Controlled Burn, 2022, Filmstill, © Julian Charrière, VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Klar, der Klimawandel ist wissenschaftlich belegt. Weniger gesichert scheint dagegen, welche Lehren wir daraus für die Gegenwart und die Zukunft unseres Lebens und unserer Lebensgrundlagen ziehen sollten. Wie sich in den vergangenen Monaten gezeigt hat, ist das gesellschaftliche Mikroklima da deutlich unbeständiger als es schon einmal war. Die Einigung auf Klimaziele bedeutet offenbar nicht die Bereitschaft, diese auch erreichen zu wollen. Erst recht nicht, wenn damit ein grundlegender Wandel verbunden ist, ob privat oder gesellschaftlich, selbst wenn dieser die Folgen des Klimawandels abmildern könnte. Und so wirkt der Titel der aktuellen Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim fast schon wieder anachronistisch: „1,5 Grad“. Das 2015 im Pariser Klimaabkommen formulierte Ziel, die Erderwärmung bis 2030 unter diese Marke zu drücken, gilt unter Expert:innen heute als nicht mehr erreichbar.

Für Kunsthalle-Direktor Johan Holten und Anja Heitzer, die das Ausstellungsprojekt parallel zur Bundesgartenschau in Mannheim kuratierten, ändert das nichts an der Notwendigkeit, zu handeln. Dazu gehört auch, die vorhandenen Ressourcen der Kunst zu nutzen. Über 200 Arbeiten haben die beiden dafür zusammengetragen, als Leihgaben und aus eigenen Beständen, einige sind eigens für die Schau entstanden. In sechs Kapiteln verteilen sie sich über das Haus und sie tun das bemerkenswert invasiv, überschreiten immer wieder die Grenze zur ständigen Sammlung und inspirieren dort aus ökologischer Perspektive zur Revision von Gemälden wie Caspar David Friedrichs Himmelslandschaft „Abend“ (1826), „Bergbach“ (1919) von Ernst Ludwig Kirchner oder Eugen Brachts „Hoeschstahlwerk in Dortmund“ (1906). Diese Überschneidung der Blickachsen ist durchaus plausibel, denn die Klimakrise ist ein Querschnittsthema par excellence. Ihre Auswirkungen betreffen nahezu alle Bereiche des biologischen Lebens und ihre Ursprünge sind eng verbunden mit dem seit der Industrialisierung im 18. Jahrhundert einsetzenden Energie- und Ressourcenhunger, der das Verhältnis von Mensch und Natur radikal neu definierte. Der in Berlin lebende Schweizer Künstler Julian Charrière kehrt in Mannheim mit einer spektakulären Filminstallation an diese Ursprünge zurück. „Controlled Burn“ ist aus Aufnahmen von explodierenden Feuerwerkskörpern über Ölbohrinseln und Tagebauanlagen zusammengeschnitten, in Zeitlupe und rückwärts abgespielt. Die Faszination, dem Feuer dabei zuzusehen, wie es sich in die Erde zurückzieht, in der es irgendwann einmal in Fossilien gebunden war, hält sich die Waage mit dem Unbehagen angesichts der enormen Gewalt, die hier am Werk ist und die sich jeder Kontrolle zu entziehen scheint. Nach dem Feuerwerk, ahnen wir, wird es still und dunkel sein. Damit liefert Charrière zugleich so etwas wie ein Modell für die Ästhetik einer an Nachhaltigkeit interessierten Kunst, die die Schau prägt. Auffallend viele Arbeiten begegnen der Dringlichkeit des Themas mit einem deutlichen Hang zur Monumentalität. Bahzad Sulaiman verschaltet Dutzende von ausgemusterten Waschmaschinen zu einem raumfüllenden „Chor“ über die Klimakosten einer elektrifizierten Zukunft. Nebenan lässt Romuald Hazoumé aus Benin ein Fischerboot in einem Meer aus Ölkanistern versinken, um auf den Zusammenhang von Klimakrise, Ausbeutung und Migration hinzuweisen, während an den Wänden riesige Leinwände von Lee Bae hängen, die wie Gesteinsprofile aus dem Kohleflöz schimmern. Auch in den anderen Bereichen öffnen Großformate die Tür zum jeweiligen Thema. Anselm Kiefers knapp sechs Meter hohes Gemälde „Jaipur“ und die raumgreifende Tapisserie „Unearthed – Twilight“ von Otobong Nkanga etwa treten hier in einen Dialog über die philosophischen und politischen Lesarten des Kosmos und ihrer Effekte auf die Lebenswirklichkeit aller Wesen auf der Erde. Denen wiederum widmet Laure Prouvost im Kapitel „Creatures“ die Installation „MOOTHERR“, die als feuchter Hybrid aus Tropfsteinhöhle, Life-Science-Labor, Newsroom und vielbrüs­tigem Bio-Organismus so etwas wie das multimediale Zentrum der Ausstellung bildet. Der Mensch ist hier längst aufgegangen in vielgeschlechtlichen, materiellen und immateriellen Zuständen, als Gefährder von Klima, Artenvielfalt, der Erde und sich selbst auf freundliche Weise entschärft.